Skinty Fia

Skinty Fia

Die Musik von Fontaines D.C. befasst sich auf sehr unterschiedliche Art und Weise mit der Heimat und der Identität der Band. Während das Debütalbum „Dogrel“ aus dem Jahr 2019 ein buntes und grobes Porträt ihrer Heimatstadt Dublin zeichnete, lieferte der Nachfolger „A Hero’s Death“ aus dem Jahr 2020 den Sound der Entwurzelung – nämlich eine Reihe von Songs, die von Selbstreflexion, Erschöpfung und der Sehnsucht eines unsteten Leben auf der Straße handeln. Als die fünf Musiker während der Pandemie nach London zogen, lieferten ihre Erfahrungen als Außenseiter in einer neuen Stadt, die oft mit Fremdenfeindlichkeit und Vorurteilen zu kämpfen hatten, den kreativen Treibstoff für das dritte Album „Skinty Fia“. Das Ergebnis ist eine Musik, die Folk, Electronic und melodischen Indie-Pop mit ihrem Post-Punk-Fundament vereint, während sie über ihre irische Identität und deren Veränderung in einem anderen Land nachdenken. „Das ist die Linse, durch die alle Themen, die wir erkunden, gesehen werden“, sagt Sänger Grian Chatten gegenüber Matt Wilkinson von Apple Music. „Es gibt definitiv Themen wie Eifersucht, Korruption und so weiter, aber das alles wird durch die Augen von jemandem betrachtet, der kulturell gesehen mit seiner eigenen Identität im Konflikt steht.“Die Aufnahme des Albums nach Einbruch der Dunkelheit trug dazu bei, ein Gefühl des Unbehagens zu erzeugen, das, wie Chatten sagt, „für uns unerlässlich ist“. Und so blieb es bei ihren nächtlichen Sessions, die ursprünglich der Klaustrophobie einer Stadt im Lockdown entgegenwirken sollten. „Wir haben auch viel in der Nacht geschrieben“, sagt Chatten. „Wir sind in den Proberaum gegangen, um einfach etwas anderes zu machen. Obwohl die Kneipen und alles andere geschlossen waren, hatten wir das Gefühl, dass die Welt irgendwie geöffnet war.“ Hier sprechen Chatten und Gitarrist Carlos O’Connell über einige der wichtigsten Momente von „Skinty Fia“.„In ár gCroíthe go deo“Grian Chatten (GC): Eine irische Frau, die in Coventry lebte [Margaret Keane], ist verstorben. Ihre Familie wollte die Worte „In ár gCroíthe go deo“, was so viel bedeutet wie „für immer in unseren Herzen“, als respektvolle und schöne Ode an ihre irische Herkunft auf ihren Grabstein schreiben. Doch ohne eine englische Übersetzung war das nicht erlaubt. Die Kirche von England entschied, dass dies als politischer Slogan angesehen werden könnte. Die irische Sprache ist nach Ansicht dieser Leute an sich schon eine anstößige Sache, was eine sehr niedrige Stufe von Fremdenfeindlichkeit darstellt. Die Sprache ist ein grundlegender Ausdruck einer Kultur und kann nicht mit Terrorismus in Verbindung gebracht werden, was sie damit aber andeuten, denke ich. Das klingt wie etwas aus den 70er-Jahren, aber das ist zweieinhalb Jahre her.Carlos O’Connell (CO): Vor etwa einem Jahr hat sich das Blatt gewendet und [die Familie] hat den Fall gewonnen.GC: Die Familie wurde auf das Lied aufmerksam gemacht und fragte, ob sie es sich anhören dürften. Offenbar gefiel es ihnen sehr und sie spielten es am Grab. Das ist eine Anerkennung im Wert von 100.000 GRAMMYs.„Big Shot“CO: Wenn du dich daran gewöhnt hast, mit dem auszukommen, was du hast, und dir dann all diese Träume erfüllt werden, wird das immer das Vorige überschatten. Die einzige Auswirkung, die [Fontaines’ Erfolg] auf mein Leben hatte, war, dass alles, was ich vorher hatte, für eine Weile bedeutungslos wurde. Und ich fühlte mich darin ziemlich verloren. Darum geht es in dem Text „I travelled to space and found the moon too small“ („I reiste ins All und fand den Mond zu klein“) – es ist, als würde man dort hinreisen und feststellen, dass er tatsächlich kleiner als die Erde ist.GC: Wir haben alle sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht, und das hat uns auf unterschiedliche Weise wachsen lassen. Aber dieser Song klang einfach sehr authentisch nach Carlos. Vielleicht ehrlicher, als er es sonst mit sich selbst oder anderen Menschen ist. Die ganze Wahrheit war in diesem Lied gebündelt.„Jackie Down the Line“GC: Der Song hat etwas Misanthropisches. Und er ist giftig. Der Charakter der anderen werden ausgehöhlt. Es geht um eine sehr unvorteilhafte, glanzlose Beziehung, aber nicht zwingend um zwei Menschen. Mir gefällt der Gedanke, dass es um das Irische geht, das darum kämpft, nicht ausgehöhlt zu werden, weil es in einem anderen Land existiert. Der Name Jackie kommt daher, dass Menschen aus Dublin von Leuten aus anderen Teilen Irlands abwertend „Jackeen“ genannt werden. Wahrscheinlich ist das auch eine Anspielung auf den Union Jack – so wie The Pale [ein Gebiet in Irland, einschließlich Dublin, das im späten Mittelalter unter englischer Kontrolle stand]. Es ist also eine Art Mutation des Irischen oder der Verlust des Irischen, wenn es in einer anderen Umgebung existiert oder eben nicht existiert.„Roman Holiday“GC: Die ganze Sache wurde durch meine Erfahrungen in London geprägt. Ich bin nach London gezogen, um mit meiner Verlobten zusammen zu sein. Für mich als Iren, der als Teil einer Gruppe von Iren in London lebte, gab es diese Art von suchender Energie, diese Aufregung, so etwas wie ein Abenteuer – aber auch dieses sehr, sehr enge, konsequent gehütete Gruppengefühl. Ich glaube, das hat die Melodie beeinflusst.„The Couple Across the Way“GC: Ich wohnte in der Caledonian Road [im Norden Londons] und unsere Bude grenzte an ein anderes Haus. Dort wohnte ein Ehepaar, wahrscheinlich Mitte 70, und sie stritten sich sehr laut. Es war die Art von Streit, bei der London auf der Karte immer weiter rausgezoomt wird und man das Geschrei immer noch hört. So ähnlich wie bei „Die Simpsons“. Dann kam der Mann heraus und holte tief Luft. Er stand auf seinem Balkon, sah nach links und rechts und atmete sozusagen das ganze Drama aus. Und dann drehte er sich einfach um und ging zurück in seine Bude, um am nächsten Tag dasselbe zu tun. Es ist absurd, was wir uns antun, wenn wir in einer Beziehung leben, die uns täglich so viel Schmerz bereitet, und uns trotzdem immer wieder umdrehen und zurückgehen. Ich konnte gar nicht anders, als über diesen Spiegel zu schreiben, der uns vorgehalten wurde. Sehe ich meine Freundin und mich in diesen beiden Menschen – oder eher umgekehrt? Ich habe also versucht, das Ganze irgendwie aus beiden Perspektiven zu erzählen.„Skinty Fia“GC: Die Zeile „There is a track beneath the wheel and it’s there ’til we die“ („Das Rad hinterlässt eine Spur, und sie bleibt, bis wir sterben“) handelt davon, der Sohn deines Vaters zu sein. Es gibt viele Arten, auf die wir das Schicksal auf diesem Album erkunden. Eine davon ist es, in die Fußstapfen deiner Vorfahren oder denjenigen, die vor dir da waren, zu treten, egal wie nah oder weit weg sie waren. Ich interessiere mich für die Unausweichlichkeit der Genetik, für die Vorstellung, dass dein Schicksal festgeschrieben ist. Auf einer gewissen Ebene glaube ich daran. Das ist der Lauf der Dinge, selbst wenn dein Glaube dich an einen positiven Ort führt. Freiheit ist wahrscheinlich das Hauptmotiv unserer Musik. Ich denke, sie ist wahrscheinlich das Bindeglied, das alles, was wir gemacht haben, miteinander verbindet – eben Autonomie.„I Love You”GC: Der Song ist in erster Linie ein Liebesbrief an Irland, aber er enthält auch Themen wie Korruption, Traurigkeit und Kummer über das sich ständig verändernde Dublin und Irland. Der Grund, warum ich ihn „I Love You“ nennen wollte, ist, dass ich dieses Klischee sehr attraktiv fand. Im Umkehrschluss bedeutete das viel Arbeit, um einem so einfachen Lied gerecht zu werden und es nicht zu einem Klischee werden zu lassen. Es ist ein Lied mit zwei Gesichtern, denn du hast die langsamen, melodischen Strophen, die etwas geradliniger sind, doch dann geht es mit voller Kraft ganz nach oben. Ich denke, dass die Reibung zwischen diesen beiden Dingen das zweischneidige Schwert der Liebe auf den Punkt bringt.„Nabokov“GC: Ich glaube, dieses Album hat einen anderen Ansatz. Die ersten beiden Alben haben, so denke ich, auf halbem Weg ein Gefühl von Glück und Hoffnung erreicht und enden mit einer gewissen Zuversicht. Ich glaube, dass dieses Album tatsächlich zur Hälfte hoffnungsvoll ist – und dann im letzten Teil wieder in eine höllische, düstere Stimmung abrutscht und so weiter. Aus meiner Sicht war das wahrscheinlich eine der bewussteren Entscheidungen, die wir bei der Produktion dieses Albums getroffen haben.

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