Weswegen eine Coming-of-Age-Geschichte über Kannibalen zu den schönsten Filmen des Jahres zählt, erzählt an dieser Stelle egoFM-Kinoredakteur Fabian Broicher.
Wie kaum anderen Regisseur*innen in den letzten fünf Jahren ist es Luca Guadagnino gelungen, mit einem ganz eigenen künstlerischen Stil die filmischen Regeln zu verschieben. Das liegt vor allem an dem zwar überraschenden, jedoch absolut verdienten Überraschungserfolg der einfühlsamen, zärtlichen und wunderschönen Liebesgeschichte
Call Me By Your Name von 2017, auf den der Italiener mit
Suspiria ein Remake des Horrorklassikers seines Landsmannes Dario Argento folgen ließ – in dem alle Rollen, inklusive der männlichen Hauptrolle, von Frauen verkörpert wurden.
Nun kehrt Guadagnino nach einem Ausflug ins Serienmetier auf die große Leinwand zurück, wobei es abermals so scheint, als besäße er keinerlei Einschränkungen.
Denn Bones and All vermengt den heftigen Grusel mit der einfühlsamen Romantik seiner vorherigen zwei Filme, zusätzlich angereichert durch Elemente eines Roadmovies und der klassischen Coming-of-Age-Story. Obendrein beweist Guadagnino ein weiteres Mal ein glückliches Händchen in der Auswahl seiner Darsteller*innen. Neben Timothée Chalamet, der mit
Call Me By Your Name seinen großen Durchbruch feierte, erobert Taylor Russell, jüngst in Venedig als beste Nachwuchsschauspielerin ausgezeichnet, praktisch jede Szene, in der sie zu sehen ist.
Worum geht's in Bones and All?
Die junge Maren führt kein einfaches Leben. An ihre Mutter erinnert sie sich kaum noch; mit ihrem Vater zieht sie beinahe wie Nomaden häufig um, erschwert durch ärmliche Verhältnisse. Schnell stellt sich heraus, dass die beiden ein Leben auf der Flucht führen, wofür Maren die Schuld trägt. Denn sie isst gerne Menschen. Früher oder später überkommt sie stets der übermächtig große Drang danach, zur Kannibalin zu werden. Nachdem sie einer Mitschülerin in den Finger beißt, verlässt ihr Vater sie. Von einem auf den anderen Tag auf sich allein gestellt, beschließt Maren, auf die Suche nach ihrer Mutter zu gehen – auch in der Hoffnung, ein paar Antworten über ihren Zustand zu finden. Doch schneller als ihr lieb ist, wird sie damit konfrontiert, sich selbst finden zu müssen, als sie auf andere so genannte „Eater“ trifft. Etwa den exzentrischen Sully, den grobschlächtigen Jake – und den mit einem exorbitant schlechten Musikgeschmack gesegneten Lee, in den Maren sich unsterblich verliebt. Doch der besitzt seine ganz eigenen Probleme …
Als bestünde zwischen den Elementen des Kannibalismus, eines Roadtrips quer durch die USA sowie einer jungen, gewaltigen Liebe keinerlei Diskrepanzen, kreiert er einen Film, der von zerbrechlicher Schönheit genauso geprägt ist wie von blutigem Gemetzel, alles untermalt von einem fantastischen Soundtrack der beiden Tausendsassas Trent Reznor und Atticus Ross. Während die unglaublich ästhetischen Bilder von Arseni Khachaturan ein wenig an Wim Wenders'
erinnern (ein weiterer Film, in dem ein Europäer einen Roadtrip durch die USA bildgewaltig inszeniert), gibt es ebenfalls Parallelen zu den Werken von David Lynch (vor allem
), der ebenfalls Grusel mit Anspruch verbindet. Im Kern von
jedoch findet sich eine zutiefst bewegende Romanze, die zu Tränen zu rühren vermag.
Artikel teilen: