Frauen: Die unsichtbare Hälfte

Frauen: Die unsichtbare Hälfte

Eine Welt geschaffen für Männer

Von  Kaja Lübeck
Unsere Welt wird von Daten dominiert. Diese werden in den meisten Fällen von Männern für Männer erhoben und bilden somit die Grundlage für systematische Diskriminierung - Frauen werden bei der Datenerhebung einfach vergessen.

Gendergerechte Mobilität - das wüscht sich die Hamburger Bürgermeisterin Katharina Fegebank. Das Vorhaben der Grünen-Politikerin wird natürlich vom ein oder anderen Boulevardmedium belächelt, wie etwa der BILD, die mit der Schlagzeile "Vize-Bürgermeisterin will Crashtest-Dummys gendern" lieber ein Aufregerthema kreiert, als das Thema seriös zu beleuchten. Wir wollen uns das aber mal genauer anschauen, was hinter der Gender Data Gap steckt. Informationen dazu bietet zum Beispiel die britische Autorin Carolina Criado Perez: In ihrem Buch Unsichtbare Frauen legt sie offen, welche gravierenden Folgen die sogenannte Gender Data Gap haben kann.
 

Autos sind Männersache

Musstest du schon einmal den Sicherheitsgurt von dir weghalten, weil er dich sonst in den Hals schneidet? Oder deinen Sitz nach oben und vorne verstellen, um genug vom Verkehr zu sehen? Dann bist du wahrscheinlich kein Mann oder zumindest kein durchschnittlicher.

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Autos werden für Männer gebaut. Die Sicherheit eines Autos wird in der EU in fünf Sicherheitstests auf die Probe gestellt – mit einem Crashtest-Dummy, der den Durchschnitts-Menschen darstellen soll. In einer männerdominierten Produktentwicklung ist das dann eben ein Mann; der sogenannte "50-Perzentil-Mann" mit 1,75 Meter Körpergröße, 78 Kilogramm Gewicht und Muskelverteilung und Wirbelsäulenaufbau eines Mannes.
Die Folge davon: Frauen haben ein 17 Prozent höheres Risiko bei einem Unfall tödliche Verletzungen zu erleiden, obwohl sie seltener in Autounfälle verwickelt sind. Mit 48 Prozent größerer Wahrscheinlichkeit werden sie schwer verletzt und mit 71 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit mittelschwer.
 
Als das den Firmen bewusst wurde, haben sie "weibliche" Dummys entworfen. Verändert haben sie dabei allerdings nur die Größe. Der Körperbau wurde beibehalten – also keinesfalls eine Durchschnittsfrau. Zudem wird die Puppe auch nur in einem einzigen Test verwendet, bei dem sie auf dem Beifahrersitz sitzen darf.
 

Medizinische Fehler

Auch in der Medizin kann die Gender Data Gap lebensbedrohlich werden. Der männliche Körper gilt dort als Prototyp, bildet somit die Grundlage für Medikamententests, Forschung und Behandlung, obwohl es maßgebliche Unterschiede zwischen dem männlichen und weiblichen Körper gibt.
 
Frauen sterben aus diesem Grund unter anderem mit einer höheren Wahrscheinlichkeit an einem Herzinfarkt als Männer. Als die typischen Symptome gelehrt bekommt man Schmerzen in der Brust und im linken Arm - vor allem jüngere Frauen weisen allerdings ganz andere auf: Bauchschmerzen, Kurzatmigkeit, Übelkeit und Müdigkeit. So werden Herzinfarkte bei Frauen häufig übersehen oder fehldiagnostiziert.
 
Auch bei der Dosis von Medikamenten wäre eine angepasste Behandlung sinnvoll. Frauen können diese langsamer abbauen und benötigen deshalb eine niedrigere Dosierung, worauf allerdings selten geachtet wird.
 
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Die Datenlücken in Medizin und Sicherheit sind auf keinen Fall nur Gender-Gaga, sondern ein ernsthaftes Problem. In anderen Bereichen sind sie weniger bedrohlich, allerdings trotzdem unangenehm.

 

Männer als Maßstab für Produkte

Kommst du mit deinem Daumen in jede Ecke deines Smartphones? Diese sind für größere Hände oft leichter bedienbar, weil sie wie viele vermeintlich geschlechtsneutrale Produkte an Männern orientiert sind. Spracherkennungssoftwares verstehen Männerstimmen besser und Frauengesichter werden bei Gesichtserkennung schlechter erkannt. Selbst in der künstlichen Intelligenz kommen Männer häufiger vor. In den Daten, mit denen sie gefüttert wird und bei den Entwickler*innen sind Frauen unterrepräsentiert.
 

Raumplanung von Toiletten

Im Alltag fällt die geschlechterspezifische Datenlücke ebenfalls auf. An öffentlichen Toiletten in der Schlange zu stehen ist für Frauen vorprogrammiert. Die Waschräume für Männer sind zwar oft gleichgroß, allerdings ist das etwas zu kurz gedacht: Da Urinale weniger Platz einnehmen, können die Toiletten von mehr Personen gleichzeitig benutzt werde. Außerdem nicht einbezogen wird, dass Frauen mehr Zeit benötigen, da sie auch meistens mit Care-bedürftigen Menschen unterwegs sind oder Hygieneprodukte wechseln müssen. Die gleiche Fläche sorgt also nicht automatisch für Gerechtigkeit.

 

Raumtemperatur in Büros

In den 60er-Jahren hat man in den USA die ideale Durchschnittstemperatur für ein Büro errechnet – anhand der Stoffwechselrate eines Mannes. Frauen haben aber einen anderen Stoffwechsel und eine andere Fettverteilung. So ist es für Frauen in Büroräumen rund drei Grad zu kalt - sie fühlen sich bei 25 Grad am wohlsten, Männer dagegen bei 22 Grad.
 


Wissenschaft sollte alle mitdenken

Die Gender Data Gap hat Folgen. Manche sind nur unangenehm, andere fatal – nicht nur für Frauen. Alle Menschen, die nicht cis-männlich sind, also beispielsweise auch non-binary oder trans Menschen werden dadurch diskriminiert und auch Hautfarbe und der sozioökonomische Hintergrund können eine Rolle spielen. Um diese Datenlücke zu überwinden, muss in der Wissenschaft eine intersektionale Perspektive etabliert werden.

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