Was es mit der Flugscham auf sich hat

Was es mit der Flugscham auf sich hat

Muss man sich schämen, wenn man viel fliegt?

Dass die Schwed*innen uns in einigen Punkten voraus sind, ist ja nichts Neues. Um die Umwelt zu schützen erfanden sie deshalb kurzer Hand die Flugscham.

Fliegen trotz Umweltbewusstsein?

Das allgemeine Bewusstsein und Wissen über den Klimawandel steigt. Meint man zumindest. Wir verzichten öfter auf Fleisch, fahren mehr mit dem Rad statt Auto, leben minimalistisch und kaufen zunehmend mehr unverpackte Lebensmittel - oder zumindest sprechen wir viel darüber und machen uns die Lage deutlich.

Aber in den Urlaub wird meistens immer noch geflogen - ob uns nun bewusst ist, welche Auswirkungen das Fliegen hat oder nicht. 

Schwed*innen wollen daher dieses Thema im November 2018 in den Vordergrund rücken, denn auch wenn ihre Öko-Bilanz seit 1990 gesunken ist, geflogen sind sie um 61 Prozent mehr. Mit dem Hashtag #jagstannarpåmarken ("Ich bleibe am Boden") wollten sie Leute dazu bewegen, weniger zu fliegen und dafür mehr alternative Fortbewegungsmittel zu benutzen.

Und das funktionierte: Es gibt zum Beispiel dadurch ausgelöst eine Facebook-Gruppe mit über 30.000 Mitgliedern, die sich ausschließlich über Empfehlungen über Bahnreisen austauschen.

Das Ganze läuft übrigens unter dem Begriff "flygskam" (Flugscham) und ist in den letzten Jahren sogar weltweit zunehmend ein feststehender Ausdruck dafür geworden, dass sich Leute aufgrund des Klimawandels weniger ins Flugzeug setzen.

Oder sich zumindest für eine Flugreise schämen. Der Begriff ist nicht nur auf Social Media und über die Kampagne "Stay Grounded" bekannt, auch Prominente setzten sich für eine gesellschaftliche Veränderung ein. Der Ex-Biathlet und Olympia Sieger Björn Ferry zum Beispiel sollte in der Wintersportsaison 2019 Kommentator des öffentlich-rechtlichen Fernsehens sein. Dieses Angebot nahm er jedoch nur unter einer Bedingung an:

Er möchte jede Strecke mit der Bahn statt mit dem Flugzeug hinter sich legen, da er auch die letzten zwei Jahre zuvor wegen seiner Öko-Bilanz nicht geflogen sei. Auf den ehemaligen Spitzensportler wartete dann also eine 13.000 Kilometer lange Strecke, unter anderem nach Italien, Slowenien und Norwegen.

Ein gutes Vorbild ist auch die ehemalige schwedische Kulturministerin Alice Bah Kuhnke, die für offizielle Termine nach Paris, Canne und Berlin auch ausschließlich mit der Bahn reiste.



Aus flygskam wird smygflyga

Weil einige das Fliegen durch die Klimadiskussionen mittlerweile wirklich peinlich finden, gibt es nach der "flygskam" nun eine neue Gesellschaftsentwicklung: Durch die Flugscham entsteht nämlich in manchen Kreisen zunehmend ein sozialer Druck, für Urlaubs- oder Geschäftsreisen auf keinen Fall in ein Flugzeug zu steigen. Als Folge kommt es dann zum sogenannten "smygflyga", was bedeutet, dass Menschen es dann einfach heimlich tun und niemandem von ihrem gebuchten Flug erzählen.

Fliegen bleibt dabei aber natürlich Fliegen - dem Klima ist es dabei herzlich egal, ob du es deinen Mitmenschen erzählst oder nicht.

Flugzwangspause durch die Pandemie

In den letzten beiden Jahren sind die meisten von uns sowieso am Boden geblieben - Urlaub machen, vor allem im Ausland, ist in der Pandemie auch eher schwierig, risikoreich und in einigen Fällen schlichtweg unverantwortlich. Außerdem haben viele gemerkt: Man muss für ein Meeting nicht durch halb Europa jetten, in den meisten Fällen tut es auch ein Zoom-Call. Laut dem OAG Worldwide Limited, rechnet die Flugbranche damit, dass die zivile Luftfahrt 2022 wieder weiter ansteigt.

Es wird nicht mehr lange dauern und wir werden wieder auf dem selben Level wie 2019 sein:


Die Flugbranche freut sich natürlich. Um Reisende wieder an Bord zu locken, gehen viele Unternehmen mittlerweile auf das Thema Flugscham ein und geben sich umweltbewusst. Bei den vermeintlichen Alternativen für die Zukunft des zivilen Luftverkehrs handelt es sich jedoch um Greenwashing. Die vermeintlichen Lösungen sind ineffizient und würden viel zu spät greifen. Elektroflugzeug beispielsweise sind viel zu klein und können nur geringe Distanzen zurücklegen, Wasserstoff als Treibstoff wird frühestens 2050 rentabel sein und synthetische Kraftstoffe sind aktuell einfach noch nicht genügend erforscht und zum jetzigen Stand zu gefährlich. Gegen das Greenwashing will Stay Grounded aktuell mit einer Petition vorgehen. Hier erfährst du mehr darüber und kannst die Petition unterzeichnen. 


Übrigens: Flugscham-Kampagnen und Projekten ist bewusst, dass am Tourismus und an der Flugbranche selbst viele Jobs und Einzelschicksale hängen. Wie sich etwas zugunsten der Umwelt und den Mitarbeitenden ändern kann, kannst du hier zum Beispiel nachlesen.

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