Natasha A. Kelly im Gespräch

Natasha A. Kelly im Gespräch

"Strukturelle Probleme brauchen strukturelle Lösungen"

Seit den 90ern ist der Februar in Deutschland Black History Month. Und wir möchten nicht nur diesen speziellen Monat nutzen, um Schwarze Geschichte in den Mittelpunkt zu rücken.


Über den Februar hinaus

Deshalb hat sich egoFM Gloria mit Natasha A. Kelly unterhalten. Als Expertin für Schwarze Deutsche Geschichte ist für sie jeder Monat Black History Month. Im Februar gäbe es dafür aber mehr Aufmerksamkeit und die möchte sie nutzen.
  • Natasha A. Kelly
    Im Interview mit Gloria

Natasha A Kelly ist promovierte Kommunikationssoziologin, Autorin, Kuratorin, Künstlerin und Filmemacherin. Sie möchte das deutsche Geschichtsverständnis erweitern.
"Deutsche Geschichte geht Hand in Hand mit der Geschichte des Rassismus" - Natasha A. Kelly

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Für das Verständnis von Rassismus ist es wichtig, Rassismus als strukturelles Phänomen zu verstehen.
Das gilt auch für das Verständnis Schwarzer Geschichte in Deutschland.
"In Deutschland generell wird Rassismus nicht verstanden. Rassismus wird auf eine individuelle Ebene reduziert. Zwischenmenschlich." - Natasha A. Kelly
Aber...
"Rassismus ist ein strukturelles Gebilde, was sich in allen Ebenen der deutschen Gesellschaft eingeschrieben hat." - Natasha A. Kelly


Der Begriff "Rasse"

Rassismus hat sich im Rassegedanken gefestigt, dieser Rassegedanke hat zum Begriff "Rasse" geführt.
"Die Grünen wollen ja beispielsweise, dass Rasse aus dem Grundgesetz gestrichen wird. Das ist natürlich Humbug. Denn davon geht ja das Rasse-Denken nicht weg. Im Gegenteil, es würde ja fortwirken, ohne das wir tatsächlich ein Umdenken anstreben können" - Natasha A. Kelly
In den USA ist der Begriff "race" etabliert. Anders als beim deutschen Begriff "Rasse" ist das Verständnis dieses Begriffs ein soziales, kein biologisches. "Race" zeigt also ein soziales Machtverhältnis auf und hilft dabei, dieses zu benennen. 

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"White Supremacy" und "White Saviourism"

"Rassismus ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite haben wir rassistische Unterdrückung und auf der anderen Seite haben wir "white supremacy" oder weiße Vorherrschaft. Und diese beiden Dinge wirken zusammen. Wir als Gesamtgesellschaft neigen dazu, nur die eine Seite zu sehen: Die rassistische Unterdrückung und uns auch nur in dem Bereich engagieren zu wollen. Das hat dann etwas von einem White-Saviour-Komplex, also wir müssen die armen Schwarzen retten. Und wir sind ja alle nicht rassistisch und wollen etwas tun."  - Natasha A. Kelly

"white saviourism" führt den Gedanken der "white supremacy" in gewisser Hinsicht fort. Die Position der "Retter*in" begreift sich unterschwellig als überlegen. Als Gegenkonzept fordern Schwarze Aktivist*innen critical whiteness.

"Der erste Schritt für eine weiße Person im antirassistischen Kampf wäre es, diese eigene Position zur Kenntnis zu nehmen. Und sich dann über diese Privilegien hinaus, gegen 'white supremacy' zu stellen. Sich dafür einzusetzen, dass die Strukturen sich verändern. Weil dann wird auch die rassistische Unterdrückung weniger." - Natasha A. Kelly


Gerade seit letzten Sommer gibt es sehr viel "Social Media Aktivismus" - wie denkt Natasha darüber?

"Also auf der einen Seite finde ich, dass die sozialen Medien sehr sehr wichtig sind. Die haben unsere Bewegung getragen letztes Jahr und das ist etwas, was ich durchaus als total positiv bewerte." - Natasha A. Kelly

Jahrelang wurde darauf gewartet, dass Mainstream-Medien von antirassistischen Kämpfen berichten. Seit selbst über soziale Medien berichtet wird, werden viel mehr Leute erreicht. Der Social Media-Aktivismus birgt aber auch negative Seiten.

"Auf der anderen Seite diese Hobby-Aktivist*innen, die waren für mich auch ein Problem. Weil ich finde, dass dadurch das Thema politisch und medial abgelenkt wurde. Jede Person, die beispielsweise Rassismus Erfahrungen macht, wurde zu einer Rassismus-Expert*in erklärt. Aber wenn du Zahnschmerzen hast, macht dich das ja auch noch nicht unbedingt zur Zahnärztin." - Natasha A. Kelly


Gibt es ein Weiterkommen seit der Aufmerksamkeit für BLM im Sommer letzten Jahr?

"Also seit letztem Jahr habe ich das Gefühl, dass wir eher in einer Sackgasse angekommen sind, aus der wir hoffentlich wieder rauskommen. Aber wenn ich auf die letzten 25 Jahre zurückblicke, in denen ich diesen Job mache, sind wir sehr weit gekommen. " - Natasha A. Kelly

Trotzdem ist Natasha optimistisch, das die Sackgasse überwunden wird. Sie glaubt, die Mehrheit der Gesellschaft möchte sich gegen Rassismus und andere Diskriminierungen stellen. 

Gegenerzählungen zum Eurozentrismus

"Es geht nicht darum, innerhalb des eurozentrischen Systems ein Schlupfloch zu finden, sondern es geht darum, eine Eigenständigkeit aufzubauen. Ressources zu bekommen und das ist die politische Entscheidung, auf die ich warte." - Natasha A. Kelly

Schwarze Philosoph*innen müssen als Gegenphilosphien etabliert werden
, zum Beispiel W.E.B. du Bois. 
"Wir brauchen die Institutionalisierung von Schwarzem Wissen. Das heißt Wissensproduktion aus einer afrozentrischen Perspektive. Und das ist die ganz klare Forderung von Black Lives Matter." - Natasha A. Kelly 

Im März bringt Natasha ihr neues Buch raus: Strukturelle Problem brauchen strukturelle Lösungen. In dem Buch wird anhand von fünf Beispielen aus der Praxis beschrieben, was struktureller Rassismus heißt. Es ist nicht in Fachsprache geschrieben, um für alle verständlich zu sein.
"Ich glaube, die jungen Menschen werden diese Welt verändern. Die Alten nicht mehr." - Natasha A. Kelly

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