Prof. Rainer Holm-Hadulla ist Psychologe und Kreativitätsforscher. Was genau uns eigentlich kreativ werden lässt und welche Auswirkungen Ordnung und Chaos darauf haben können, erzählt er auch anhand einiger prominenter Beispiele im Gespräch mit egoFM Gloria.
Was genau ist eigentlich Kreativität?
Kreativität bedeutet grundsätzlich immer die Erschaffung von etwas Neuem. Dabei ist damit jedoch nicht nur der Prozess der Ideenfindung gemeint, sondern entgegen der allgemeinen Wahrnehmung auch das bewusste Ausarbeiten und Durchführen.
"Kreativität bedeutet immer auch Ordnung schaffen. Aus den circa 2000 Ideen, die Sie pro Tag haben, die eine auszuwählen und auszuarbeiten braucht ungeheuer viel Disziplin. Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Idee für einen Roman und setzen sich zwei Jahre hin. Da brauchen Sie eine sehr große Frustrationsgrenze." - Prof. Rainer Holm-Hadulla
Zwischen Ordnung, Chaos und Kreativität
Psychologe Prof. Rainer Holm-Hadulla im Interview
Um genau diese Frustrationsgrenze zu bewältigen, sind Ordnung und Struktur ein nahezu unumgänglicher Faktor bei der kreativen Arbeit. Doch komplette Disziplin ist meistens auch nicht die perfekte Lösung.
"Es gibt sicher auch eine unsinnige, zwanghafte Ordnung. Wenn ich zum Beispiel meinen Schreibtisch aufräumen muss, bevor ich etwas schreibe, dann hindert das doch eher den kreativen Prozess. Ich bin der Meinung, man sollte erst schreiben und dann aufräumen." - Prof. Rainer Holm-Hadulla
Der Unterschied zwischen alltäglicher und außergewöhnlicher Kreativität
Erstere besitzen wir alle. Jedes Kind spielt und interagiert mit seiner Umwelt, schafft daraus Neues. Um wahrgenommen zu werden, werden wir kreativ, lernen sprechen und laufen. Wir lösen uns dabei von dem, was wir kennen und versuchen Neues.
"Neuronale Netzwerke sind stabil, das sind dann Erinnerungen, die Sie haben, also Ihr Wissen und Können. Diese werden dann im kreativen Prozess labialisiert, Sie können das Chaos nennen. Dann entstehen neue, stabile Netzwerke, das ist dann die Kreativität." - Prof. Rainer Holm-Hadulla
Dies schlägt sich ebenfalls in nahezu allen unseren zwischenmenschlichen Beziehungen nieder. Auf der Suche nach Anerkennung gehen wir neue Wege, lernen aus Fehlern und entwickeln uns weiter.
Kurz gesagt – wir werden kreativ.
Außergewöhnlich ist die Kreativität dann, wenn sie für andere relevant ist. Was nicht bedeutet, dass zum Beispiel ein eigens geschriebener Song in der persönlichen Wahrnehmung nicht genauso kreativ sein kann. Letztendlich entscheidet aber das Publikum, ob er als außergewöhnlich wahrgenommen wird.
Mit Menschen, die genau diese Art von Kunst geschaffen haben, beschäftigt sich Prof. Rainer Holm-Hadullas Buch Kreativität: Zwischen Schöpfung und Zerstörung.
Dabei geht er vor allem auf deren Biografien ein und beleuchtet die Hintergründe ihres Schaffens.
"Ich bin ein großer Fan von Jim Morrison. Er illustriert es in seinem ganzen Lebensstil und in seinen Gedichten, wie er mit dem Chaos ringt. Und dann gelingt es ihm tatsächlich dieses Chaos in Worte zu fassen und mithilfe seiner Band The Doors daraus großartige Musik zu machen. Dabei gibt ihm die Band einen Rahmen, in dem er in der Lage ist, sein Chaos zu ordnen." - Prof. Rainer Holm-Hadulla
Dies hielt jedoch nur kurz an und der Sänger verstarb im jungen Alter von nur 27 Jahren. Er schaffte es nicht, sich mit der nötigen Disziplin eine Ordnung zu schaffen und griff anstatt dessen zum Konsum von Drogen, um die Kontrolle über sein Chaos zu behalten. Morrisonreiht sich dabei in eine Liste von Musikern*innen und Künstler*innen ein, die wie zum Beispiel auch Amy Winehouse, Kurt Cobain und Heath Ledger in genau diesem Alter verstorben sind. Der Konsum von berauschenden Substanzen hat in der Welt der Kunst und Musik zwar seinen festen Platz, dennoch steht er der Kreativität eher im Weg, als dass er als förderlich angesehen werden kann.
"Es gibt viele große Drogensüchtige und Alkoholiker, die auch kreativ waren. Sie waren aber nicht kreativ wegen der Drogen, sondern trotz deren Konsum." - Prof. Rainer Holm-Hadulla
Künstler haben also häufiger mentale Probleme?
Darauf hat unser Interviewpartner ebenfalls eine klare Antwort:
"Mentale Probleme sind allgemein sehr häufig. Laut Studien liegt die Zahl dabei bei ungefähr 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung. Bei Künstlern werden diese nur deutlich öffentlicher dargestellt."- Prof. Rainer Holm-Hadulla
Stattdessen stellt er die Behauptung auf, dass das kreative Arbeiten durch seinen hohen Aufwand an Disziplin eher zum Gegenteil führen kann. Als Beispiel dafür nennt er die Popsängerin Madonna, welche durch ihre Musik ihre schwere Kindheit und den frühen Verlust ihrer Mutter verarbeitete.
Letztendlich dreht es sich also vor allem darum, im kreativen Prozess zwar ein gewisses Chaos auszuleben, dieses dann jedoch durch Ordnung und Struktur zu einem Resultat zu bringen. Deinen Schreibtisch darfst du also gerne etwas unaufgeräumt lassen.
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