Ganz ohne Geld leben - geht das?

Ganz ohne Geld leben - geht das?

Im Gespräch mit Tobi Rosswog

Tobi Rosswog ist freier Dozent, Speaker, Initiator, Coach, Autor und Aktivist. Und er lebt möglichst geldfrei.


2013 verschenkte er sein Geld und begann eine Reise ohne Geld durch Deutschland und Europa.


Später schrieb er ein Buch namens After Work, in dem er die klassische Lohnarbeit angreift, und gründete mit Gleichgesinnten das solidarische Wohnprojekt "Kollektiv für gelebte Utopie". Wir haben mit ihm telefoniert.
  • Tobi Rosswog über geldfreies Leben
    Das Interview zum Nachhören

"Studium erfolgreich abgebrochen und bin losgereist"


2013 traf Tobi einen Entschluss, er verschenkte sein Geld, brach sein Studium ab und trat eine geldfreie Reise durch Deutschland und Europa an.
Den letzten Impuls gab es nach einem FÖJ-Seminar, das Tobi leitete, zu dem er gutes Feedback bekam und er gefragt wurde, warum er das nicht öfter mache.
"Das hab ich mich dann auch gefragt und hab dann gemerkt, naja, weil ich ja noch studiere. Dann hab ich mich gefragt, warum studiere ich eigentlich noch? [...] Naja, weil ich glaube, irgendwie eine Bescheinigung zu brauchen, die mir erlaubt, was zu sein und dann dafür Geld zu bekommen."
Mit dieser Verwertungslogik wollte Tobi brechen und trat seine Reise an. Während seiner Reise hielt er Vorträge im deutschsprachigen Raum, reiste aber auch durch Belgien, Niederlande, Luxemburg und Frankreich.

"45 Kilogramm sind es pro Tag"

Irgendwas musste er auf seiner Reise natürlich essen, Containern und Foodsharing war die Lösung.
"45 Kilogramm sind es pro Tag, pro Lebensmittelgeschäft, die an genießbaren Lebensmitteln weggeworfen werden. [...] Und die haben wir dann übers Containern oder Foodsharing, was wir damals auch initiierten, gerettet und anderen Menschen auch verfügbar gemacht."
Geschlafen hat er immer dort, wo es gerade ging, zum Beispiel wenn er in einer WG eingeladen war. Irgendwann war die Reise dann vorbei. Der Grund: Mit 25 endet die Familienversicherung der gesetzlichen Krankenkasse. Tobi musste also wieder Geld in die Hand nehmen, um die Versicherung zu bezahlen. Doch er lebte weiterhin sehr genügsam.

"Ein Projekt- und Gemeinschaftshaus"

Danach gründete und lebte er mit anderen im Liebermensch-Haus in Mainz. Die Bewohner*innen des Gemeinschaftshauses teilten die Miete ganz nach dem Prinzip der solidarischen Landwirtschaft.
"Ich find's erst gerecht, wenn es heißt: Gib' halt rein, was du rein geben kannst und nimm das, was du brauchst. Fertig."
Tobi möchte mit der Tauschlogik brechen.
"Wenn du etwas nimmst, musst du im Ausgleich [etwas] ganz genau ausgerechnet, schuldbegleichend reingeben und andersrum, wenn du etwas gibst, musst du dafür auch etwas erwarten und nehmen - Ich würde sagen, genau das sollten wir entkoppeln - Nehmen und Geben, diese Leistungs- und Gegenleistungslogik."
Aus dem Haus entstand schließlich das Wohnprojekt "Kollektiv für gelebte Utopie", aktuell arbeiten Tobi und seine Mitstreiter*innen am K20-Projekthaus, an dem theoretisch jede*r mitarbeiten kann.

"Ich vermisse eigentlich gar nichts"

Wir haben Tobi gefragt, ob er etwas vermisst, dass er sich kaufen könnte, wenn er mehr Geld in die Hand nehmen würde.
"Was vermisse ich gerade? Ich vermisse eigentlich gar nichts." 
Das liegt auch daran, dass er nicht das Bedürfnis hat, jedem neuen Trend hinterherzulaufen. Er handelt entgegen dem Motto:
"Du bist erst was, wenn du jedes Jahr das neue Handy hast, alle drei Jahre einen neuen Laptop, alle fünf Jahre das neue Auto oder sowas."

"Care ins Zentrum stellen"

In seinem Buch After Work  sagt Tobi der klassischen Lohnarbeit den Kampf an. Er erzählt uns von der Alternative.
"Kurz und knapp also müssten wir nicht für einen anonymen Markt Produkte und Dienstleistungen irgendwie versuchen zu entwerfen und dann hoffen, dass sie abgenommen werden, sondern für konkrete Bedürfnisse da sein, also "Care" ins Zentrum stellen."

Geldfreier leben

Zum Schluss gibt uns Tobi noch Tipps, um geldfreier zu leben. Auch wenn er sagt, dass man nicht einfach Tipps von irgendjemandem auf sich übertragen soll, weil jede*r individuell lebt.
"Stellt euch Fragen, wie: Was brauche ich eigentlich wirklich? Und wenn ihr das schon mal gestellt habt, dann merkt ihr vielleicht: Ah ja, stimmt, das brauche ich vielleicht gar nicht. [...] Das ist kein Verzicht, sondern Lebensfreude - die Befreiung von Überfluss."
Die Idee dahinter:
"Geldfreier leben bedeutet arbeitsunabhängiger zu werden. Und arbeitsunabhängiger zu werden, bedeutet mehr freie Zeit zu haben, zu schauen, was ist eigentlich mein Talent, meine Berufung, mein Potential. Und wenn ich das gefunden habe: Gemeinwohl, den ich einbringen kann."

Design ❤ Agentur zwetschke