Von Max Klement (Interview) | Sabrina Luttenberger (Artikel)
Der Kulturjournalist Günter Keil liest im Jahr etwa 500 Bücher. Im Interview verrät er, wie er diese auswählt und worauf er besonders achtet.
Günter Keil ist nicht nur journalistisch für Print und Online-Medien tätig, sondern auch Moderator und das sogar bei uns - nämlich in der egoFM Buchhaltung. Im Gespräch mit Max erzählt er von seiner Verantwortung als Literaturkritiker und Diversität in der Branche.
Günter Keil im Interview mit Max
Über die Verantwortung als Literaturkritiker
500 Bücher pro Jahr
Alle zwei Wochen hat Günter Keil in unserer Literatursendung, der egoFM Buchhaltung, Tipps für dein Bücherregal. Um die besten Empfehlungen herauszufiltern, liest der Literaturexperte eine ganze Menge. Immerhin erscheinen in Deutschland jedes Jahr 100.000 Bücher, da muss er sich als Kritiker ja einen Überblick verschaffen. Letztes Jahr waren es circa 500 Stück. Allerdings gibt Günter auch zu, nicht alle 500 Bücher komplett zu lesen. Ob ihm ein Buch gefällt und es dann auch ganz liest, entscheidet sich meistens nach 100 Seiten. Stichwort: Effizienz! Um auch wirklich viele Bücher zu lesen, hat Günter zum Beispiel seinen Netflix-Konsum drastisch minimiert und in weiser Vorsicht immer ein Buch im Gepäck – man weiß ja nie, wann man zwischendurch mal ein paar Seiten verschlingen kann.
Weg von Thomas Mann & Heinrich Böll und hin zu diverser Literatur?
Welche Bücher hast du damals in der Schule gelesen? Faust von Goethe? Der Prozess von Kafka? Auch Günter musste im Deutschunterricht Klassiker von Thomas Mann oder Heinrich Böll über sich ergehen lassen, wobei er sagt, dass ihm Heinrich Böll ziemlich gut gefallen hat. Allerdings sind die meisten Schullektüren aus Perspektiven von weißen Männern geschrieben. Auch heute machen sie noch einen großen Teil des Kanons aus. Laut Günter muss sich im Hinblick auf Diversität im Bildungssektor noch viel ändern. Allerdings tue sich bereits Schritt für Schritt etwas, im Interview spricht Günter zum Beispiel über Literaturpreise: der Booker Prize in Großbritannien ging letztes Jahr an Bernadine Evaristo für ihr Buch Girl, Woman, Other. Damit war sie die erste schwarze Autorin, die diesen Preis gewann.
Als Literaturjournalist fühlt Günter große Verantwortung, nicht-weißen Autor*innen eine Plattform und so auch mehr Aufmerksamkeit zu geben. In den letzten Jahren ist sein Bewusstsein vor allem durch Bewegungen wie Black Lives Matter noch mehr gestiegen.
"Ich glaube schon, dass es wichtig war, dass immer mehr Organisationen Druck gemacht haben und zu uns Medienleuten und Journalist*innen gesagt haben: Guckt mal, was ihr da macht. Das betrifft zum Beispiel auch Gleichberechtigung, Autorinnen und Autoren… ich achte da drauf und halte das für wichtig, das sollten alle tun. Man darf's aber natürlich auch nicht übertreiben. Es gibt auch coole weiße Literatur, die soll auch nach wie vor ihren Platz haben. Das alles gehört dazu." – Günter Keil
Trivialliteratur als Einstiegsdroge?
Im Internet findet ja bekanntlich jede*r seine oder ihre Nische. So auch Buchfans: Auf "Booktube" stellen YouTuber*innen ihren SUB vor, den Stapel ungelesener Bücher – ähnlich wie Influencer*innen, die in "Hauls" ihre neue Kleidung präsentieren. Auf TikTok gibt's unter dem Hashtag #BookTok tausende Videos zu aktuellen Hypes. Kritiker*innen bemängeln diese neue Art der Literaturkritik: Sie würden nur Trivialliteratur weiterempfehlen. Günter findet diesen Einwand unberechtigt.
"Von oben herab zu gucken und zu sagen, das sei alles nur Mainstream, ja und? Ist doch gut, dass überhaupt Literatur stattfindet in den sozialen Medien. Ich glaube schon, dass man als Einstiegsdroge auch schlechte Romane verwenden kann, um Menschen zu besseren Büchern zu kriegen. Und dann ist es mir lieber, jemand lobt den 0815 Roman, aber es wird gelesen." – Günter Keil
Die egoFM Buchhaltung
Welche Bücher Günter selbst lobt, erfährst du jeden zweiten Samstag zwischen 14 und 16 Uhr in der egoFM Buchhaltung. Und an dieser Stelle kannst du alle vergangenen Sendungen noch mal hören.
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