Itje Kleinert ist 1,23 Meter groß und Konzertfotografin. Sie hat mit uns über Inklusion und ihren Alltag gesprochen.
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11.03.2020
Itje Kleinert im Interview
Ein Gespräch über Inklusion, Barrierefreiheit und Dating mit Achondroplasie
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Itje Kleinert zu Gast bei AnnaDas Interview zum Nachhören
Wie funktioniert Inklusion?
Für Itje wäre ein wichtiger Schritt, dass man erstmal alle Gebäude barrierefrei macht.
Viele Städte in Deutschland sind nämlich alles andere als barrierefrei - das bemerkt Itje häufig auch bei Konzerten und Festivals, auf denen sie als Konzertfotografin arbeitet.Zum Beispiel wurde Itje mal vor einem Konzert extra darauf hingewiesen, dass es ein Podest für Rollstuhlfahrer*innen gibt, von dem aus sie fotografieren könne. Die Security hat sie dann allerdings nicht auf das Podest gelassen, weil sie ja nicht im Rollstuhl sitzt. Solche Erlebnisse haben ihr gezeigt: Es fehlt an vielen Stellen auch an Sensibilität.
Feinfühligkeit ist für eine erfolgreiche Inklusion enorm wichtig.
Beim Einkaufen hat sich Itje angewöhnt die Produkte zu kaufen, die auf ihrer Augenhöhe oder darunter sind. Wenn sie doch mal was von weiter oben braucht und um Hilfe bittet, hat sie oft das gleiche Problem: Zusammen mit dem Produkt bekommt sie auch gleich noch viele Tipps und Nachfragen zum Produkt.Durch Sätze wie "ich mein's ja nur gut", die sie in diesem Zusammenhang oft zu hören bekommt, fühlt sich Itje erniedrigt. Das suggeriert Mitleid, das sie auf jeden Fall nicht braucht:
"Neulich habe ich einen angesprochen, das war ein Assistent von einem Rollstuhlfahrer, und es war so schön einen professionellen Helfer sozusagen zu haben, der keine Fragen, keine Tipps gegeben hat, sondern mir einfach nur das gegeben hat, was ich wollte. Das war so eine Erleichterung." – Itje
Genauso wenig kann sie Sätze leiden, wie "Toll, dass du das trotz deiner Größe machst".
"Ich will ja für meine Arbeit Anerkennung bekommen und nicht, weil 'ich's trotzdem mache'. Ich will diesen vermeintlichen Bonus nicht ausspielen." - Itje
Im Alltag
Für Itje stellt ihre Größe im Alltag kein Problem dar: Ihre Küche und ihr Bad hat sie sich anpassen lassen und Türgriffe und Lichtschalter kann sie erreichen. Trotzdem wird sie im Alltag öfter schräg angeschaut, zumindest in Deutschland.Itje hat auch für ein Jahr in England gelebt.
Sie erzählt, dass sie vor allem in England, aber auch in vielen anderen Ländern, nicht so auffällt wie in Deutschland:"Jedes Mal, wenn ich da [in England] bin, werd' ich gar nicht angeschaut […]. Ist hier irgendwas anders mit mir, warum werd' ich jetzt nicht mehr angeguckt? Das ist ein ganz komisches Gefühl. Ich kann da sein, wie ich bin." – Itje
Zu sein, wer sie ist, schafft Itje inzwischen aber auch in Deutschland sehr gut. Vor allem in der Jugend war das aber natürlich schwieriger.
In der Liebe
In der Pubertät war ihre Größe beim Dating oft ein Problem.
Natürlich rede man sich auch selbst schnell ein, dass man nur wegen der Größe keinen Partner findet, erzählt Itje. Aber es waren auch tatsächlich einige Typen dabei, die klar kommuniziert haben, dass sie ein Problem mit ihrer Größe hätten:
"Es waren schon ein paar Fälle dabei, die mir das wirklich auch so ins Gesicht gesagt haben. Und ich weiß auch von ein paar, wo Gefühle im Spiel waren, die aber keine Eier dazu hatten, mich als Freundin zu haben." – Itje
Vor allem durch Dating Apps wie tinder hat Itje dann gemerkt, dass Männer Interesse durchaus Interesse an ihr haben.
Und auch, wie wichtig es ist, sich nicht von vornherein mit dem Gedanken "er will ja eh nichts von mir" zu verschließen.Mit dem richtigen Partner an ihrer Seite will Itje auf jeden Fall Mutter werden.
Die Chance, dass Itje ein kleinwüchsiges Kind zur Welt bringt liegt bei 50 Prozent - mit einem kleinwüchsigen Mann bei 75 Prozent. Für Itje ist das definitiv kein Grund, auf Kinder zu verzichten. Für sie selbst ist es absolut unwichtig, ob ihr Kind kleinwüchsig ist oder nicht.Das ist selbstverständlich eine persönliche Entscheidung, meint Itje. Von Eltern, die es bereuen, ihr Kind mit Beeinträchtigung bekommen zu haben, habe sie übrigens noch nie gehört.
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