Kabul Luftbrücke: Evakuierungseinsatz in Afghanistan

Kabul Luftbrücke: Evakuierungseinsatz in Afghanistan

Das komplette Interview aus egoFM Reflex mit Vanessa Schlesier

Am 27. August hat die Bundeswehr ihren Evakuierungseinsatz in Afghanistan beendet, es warten allerdings immer noch zehntausende Menschen darauf, das Land verlassen zu können. Im Interview erzählt Vanessa Schlesier, wie sie die Lage vor Ort einschätzt.

Vanessa Schlesier arbeitet als freie Journalistin und ist aktuell im Rahmen der zivilen Initiative Kabul Luftbrücke vor Ort und setzt sich für die Evakuierung der Menschen ein. 

Die aktuelle Situation in Afghanistan 

Weil die NATO-Mission "Resolute Support" offiziell für beendet erklärt wurde, haben die ausländischen Truppen Anfang August begonnen, sich aus Afghanistan zurückzuziehen. Schon kurz darauf haben die Taliban verschiedene afghanische Städte eingenommen, Mitte August haben sie dann die Hauptstand Kabul erobert und die Macht im Land übernommen.

Wer die Taliban sind, erklären wir im egoFM Reflexikon. 

Die Sicherheitslage hat sich in Afghanistan zwar etwas verbessert - es gibt zumindest weniger Kämpfe und Anschläge - die wirtschaftliche Situation ist aber deutlich schlechter geworden, sagt Vanessa. Außerdem ist die medizinische Versorgung nicht gesichert und Afghan*innen, die sich in der Vergangenheit für Freiheit, Demokratie und Frauen- und Menschenrechte eingesetzt haben, werden nach wie vor aktiv bedroht und verfolgt.

"Die Situation der Menschen vor Ort ist auf der einen Seite sicherer, weniger lebensbedrohlich, aber auf der anderen Seite deutlich bedrohlicher und prekärer, als sie es davor war." - Vanessa Schlesier
  • Vanessa Schlesier im Interview
    Das komplette Gespräch zum Anhören
  • Statement Erik Marquardt

Evakuierungseinsätze

Die Bundeswehr hat ihre Evakuierungsaktion für Menschen mit deutschem Aufenthaltstitel und Ortskräfte, die mit der Bundeswehr zusammengearbeitet haben, weitestgehend für beendet erklärt. Durch die Bundesregierung sollen zuvor insgesamt 5.300 Menschen aus Afghanistan nach Deutschland evakuiert werden sein (Stand Ende Oktober). Vanessa sagt allerdings klar, dass immer noch zehntausende Menschen darauf warten, nach Deutschland zu kommen:

Konservativ gerechnet soll es immer noch um die 30.000 Menschen in Afghanistan geben, die eine Aufnahmeberechtigung haben weil sie direkt gefährdet sind oder zur Kernfamilie einer solchen Person gehören. Die Zahl an Menschen, die zwar keine Aufnahmeberechtigung haben, aber trotzdem aus Afghanistan fliehen wollen und müssen, weil sie bedroht und verfolgt werden, ist weit höher und auch diesen Menschen will die die Initiative helfen. Bisher konnte die Kabul Luftbrücke ungefähr 900 Menschen evakuieren, aktuell helfen sie 30 bis 50 Menschen pro Woche über die Grenze.

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Um auch in Zukunft möglichst vielen Menschen helfen zu können, ist die Initiative Kabul Luftbrücke nach wie vor auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Hier kannst du ganz einfach spenden. 


Die Rolle der Bundesregierung

Die Initiative ist außerdem natürlich auf die Unterstützung von der Bundesregierung und dem Auswärtigen Amt angewiesen. Außenminister Heiko Maas hat nach der Beendigung der Evakuierungsaktion durch die Bundeswehr gesagt, dass weiterhin daran gearbeitet wird, "Menschen, für die Deutschland besondere Verantwortung trägt, bei der sicheren Ausreise aus Afghanistan zu unterstützen" und im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung steht dazu: "Wir werden unsere Verbündeten nicht zurücklassen." Gerade zu Beginn wurde der Regierung großes Versagen vorgeworfen, inzwischen soll sich die Zusammenarbeit, vor allem mit dem Auswärtigen Amt, zwar deutlich verbessert haben, erzählt Vanessa. Trotzdem muss in Zukunft noch viel mehr passieren.

Eric Marquard ist überzeugt davon, dass die neue Bundesregierung mehr bewirken wird

Er ist Europaabgeordneter mit den Schwerpunkten Flucht, Migration und Menschenrechte, Mitglied des Parteirats von Bündnis 90/ Die Grünen und hat den Bereich Flucht und Migration im Koalitionsvertrag mit verhandelt. Außerdem beteiligt er sich ebenfalls bei der Kabul Luftbrücke. In einem kurzen Statement hat er uns gesagt, dass die neue Bundesregierung vor allem auf drei Ebenen etwas bewegen wird: Es soll humanitäre Hilfe direkt vor Ort geben, außerdem sollen die angrenzenden Länder unterstützt werden damit dort Perspektiven für die Geflüchteten geschaffen werden. Das Ortskräfteverfahren soll reformiert und legale und sichere Fluchtmöglichkeiten geschaffen werden, um zu verhindern, dass sich Menschen aus der Hilflosigkeit heraus auf lebensgefährliche Fluchtrouten begeben.

Die Kabul Luftbrücke fordert von einer neuen Regierung vor allem, dass die Listen, auf denen steht, wer eine Aufnahmeberechtigung hat, wieder geöffnet werden. Das ist das aller wichtigste sagt Vanessa. Auch eine Richterin, die es afghanischen Frauen ermöglicht hat sich scheiden zu lassen, muss zum Beispiel die Möglichkeit haben, dass ihr Aufnahmeantrag geprüft wird. Denn auch solche Personen werden verfolgt und müssen evakuiert werden, auch wenn sie keinen Kontakt in den Westen hatten, betont Vanessa im Gespräch. 

"Wir fordern dass die Listen wieder geöffnet werden, dass es Programme gibt die überprüfen, wie gefährdet die Menschen sind und welchen Anspruch sie haben und wir fordern vor allen Dingen, dass finanzielle Hilfen von Seiten der Bundesregierung nach Afghanistan daran gekoppelt werden, dass Frauenrechte gestärkt werden. Denn das ist etwas, was die Bundesregierung wirklich machen kann und das ist auch etwas, was unbedingt nötig ist." - Vanessa Schlesier

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