Satire ist ein beliebtes Mittel für Kritik und lebt von Verzerrung, Übertreibung und Provokation. Wenn's nicht ein bisschen wehtut, ist es keine gute Satire. Aber heißt das, dass Satire alles darf? Und gilt das automatisch auch für Comedy?
Die Debatte darüber, was Satire darf und was nicht, ist wieder aktueller denn je - wird aber schon lange geführt
1919 fand Kurt Tucholsky in seinem Werk "Was darf die Satire" eine einfache Antwort auf die gleichnamige Frage - nämlich alles. Ein bisschen komplizierter ist es heute meiner Meinung nach schon. Aber wo genau liegen die Grenzen der Satire und mindestens genauso wichtig: Wo liegen sie nicht?Grenzen der Satire
Gewisse Grenzen definiert das Strafgesetzbuch. Wir haben in Deutschland zum Beispiel §166 (Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen) oder auch §130 (Volksverhetzung). Innerhalb dieser Grenzen hat Satire sehr viele Freiheiten, was enorm wichtig ist.Gute Satire zeichnet sich dadurch aus, dass sie Missstände humoristisch und kritisch aufzeigt. Konsument*innen sollen zum Lachen, aber auch zum Nachdenken gebracht werden und im Idealfall werden Menschen noch dazu motiviert, sich für die Beseitigung der aufgezeigten Missstände einzusetzen.
Und auch wenn das manchmal schmerzhaft ist, genau das darf und soll Satire - selbst wenn es nicht jede*r witzig findet.
Der Fall Böhmermann
Bei der Debatte um die Grenzen der Satire kommt vielen als Erstes der Fall Böhmermann aus dem Jahr 2016 in den Kopf. Das umstrittene Schmähgedicht sollte damals aufzeigen, was Satire in Deutschland rechtlich betrachtet darf und was nicht.
Auslöser für Böhmermanns Gedicht war ein Song von extra 3 ("Erdowie, Erdowo, Erdogan"), woraufhin Erdogan den deutschen Botschafter in die Türkei bestellte und die Löschung des Songs verlangte. Böhmermann wollte dem türkischen Präsidenten mit seinem Gedicht aufzeigen, wie in Deutschland Schmähkritik aussehen müsste, damit sie verboten werden würde. Alles im deutlich gemachten Rahmen der Satire.
Das Strafverfahren wurde im Endeffekt eingestellt und der Artikel §103 des StGB (Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten) – auf dem der Prozess basierte - wurde einstimmig vom Bundestag abgeschafft. Ein Hoch auf die Satire-Freiheit.
Seehofer gegen Hengameh Yaghoobifarah
Ein paar Jahre später gibt's jetzt ein ähnliches Szenario. In der Rolle des türkischen Präsidenten diesmal Horst Seehofer.
Der findet es nämlich gar nicht ok, wenn sich ein*e taz-Autor*in über die Polizei lustig macht. In der Kolumne "All cops are berufsunfähig" von Hengameh Yaghoobifarahging ging es um die Frage, wo Polizist*innen arbeiten könnten, wenn die Polizei abgeschafft werden würde. Auslöser für den Text waren die angekündigten Polizeireformen in den USA.
Die geeignetste Option für Hengameh Yaghoobifarah war die Mülldeponie. Das kann der Bundesinnenminister natürlich genauso witzig finden wie ich seine Abschiebe-Witze - also gar nicht - aber einen solchen, offensichtlich satirischen Artikel anzuzeigen, steht dann blöderweise doch irgendwie im Gegensatz zur Pressefreiheit.
Natürlich kann man den Text unter satirischen Gesichtspunkten auch unangebracht finden und darüber diskutieren (was die taz ja selbst auch macht), aber sie ernst zu nehmen und - wie böse Zungen unterstellen - für die eigene PR auszunutzen, ist entgegen unserer demokratischen Grundsätze. Und das schlimmste: Das Theater, das um den Artikel gemacht wird, lenkt leider komplett vom Inhalt ab - den Problemen innerhalb der Polizei.
Der inzwischen offenbar vollkommen senile Bundesinnenminister @BMI_Bund will eine Journalistin für einen Text, den er nicht versteht, strafrechtlich verfolgen.
— Jan Böhmermann 🦠 🤨 (@janboehm) June 21, 2020
Dieser autoritäre Willkürakt ist ein Angriff auf die Pressefreiheit und einer liberalen Demokratie unwürdig.
Bestimmte Satire geschmacklos zu finden, ist okay, aber von Volksverhetzung oder Ähnlichem kann in beiden Fällen keine Rede sein, denn meiner Meinung nach, handelt es sich schlicht um gute und vor allem sehr berechtigte Satire.
Fällt allerdings der kritische Anspruch der Satire weg, bleibt "nur" Comedy übrig. Auch dort wird gerne mit Übertreibung und Provokation gearbeitet, allerdings ausschließlich zur Belustigung der Konsument*innen. Das ist vollkommen okay und gut. Aber es wird schwierig, wenn Comedy für sich die selben Standards wie Satire an den Tag legt - was dabei nämlich oft heraus kommt, ist leider nur das Verspotten von Schwächeren.
Dürfen die das? - Grenzen von Comedy
Was manche Menschen aus den oben genannten Debatten mitnehmen, ist die Auffassung, dass unter dem bloßen Deckmantel der Satire alles gesagt und getan werden darf. Aber Spoiler Alert: Nur weil du dich über schwächere Personen(gruppen) lustig machst, bist du kein*e krasse*r Satiriker*in und nicht mal ein*e (gute*r) Comedian.Chris Tall
Chris Talls Ansatz ist einfach erklärt: Niemand wird ausgeschlossen und deshalb werden Witze über alle gemacht. Über Behinderte, über Schwarze, über Schwule und natürlich über dicke Menschen. Mit diesem Ausreizen der moralischen Grenzen ist er ziemlich erfolgreich. Was für ein Akt der Toleranz.
Frauen, Menschen mit Behinderung, Homosexuelle, für mich alle GLEICH VIEL WERT 😍 Wir sollten uns mal wieder locker machen und mehr über sie lachen, Lachen verbindet, sich einfach mal nicht so ernst nehmen, ich bin ja auch dick und kann drüber lachen LOL Sieg heil 😉😉😉
— Schwester Ewald (@hashcrap) September 27, 2018
Aber weil ihm der Grad, auf dem er gewandert ist, noch nicht schmal genug war, hat er nachgelegt:
In seiner eigenen Show "Darf er das?" hat er Menschen eingeladen und versucht, diese anhand ihres Aussehens zu beurteilen – dick oder schwanger? Homo oder Hetero? Silikonbrüste oder Naturbrüste? Witzig oder menschenverachtend?
Ziel der Show soll es gewesen sein, Vorurteile zu überprüfen. Und zwar, indem Klischees im Fernsehen breit getreten und die Ansichten vermittelt wurden, es sei sowohl witzig, als auch erzieherisch wertvoll, Menschen anhand ihres Aussehens zu be- und verurteilen. Ist doch witzig! Oder na ja - vielleicht auch einfach nur das Bloßstellen von anderen Menschen zur eigenen Belustigung - whatever.
Oliver Pocher
Auch Oliver Pocher spielt regelmäßig Niveaulimbo, bewegt sich grundsätzlich unterhalb vieler moralischer Standard und ist für seine homophoben, sexistischen und rassistischen Witze aus dem Privatfernsehen der 2000er bekannt. Jetzt kam sein Comeback im Internet.Er hat angefangen, Influencer*innen auf Instagram auseinanderzunehmen. Am Anfang noch unter dem ehrenhaften Deckmantel des Kinderschutzes und natürlich lustig aufbereitet zur Unterhaltung der Zuschauer*innen. Die Frauen, um die es geht, finden das eher weniger witzig und unterstellen ihm Mobbing. Er selbst sagt dazu: "Das ist kein Mobbing, das ist eine gewisse Form von Comedy". Da macht sich's jemand natürlich einfach.
Zu veröffentlichen, dass sich eine Ex-Schauspielerin von Berlin Tag und Nacht auf Instagram Likes, Follower*innen und Kommentare kauft, ist echt kein Mobbing und für manch eine*n sogar witzige Unterhaltung – immerhin liefen die Pocher-Videos zu Zeiten des Lockdowns; unser Anspruch an Unterhaltung war also ohnehin ziemlich niedrig - aber eine Domina-Vergangenheit auszupacken und sich öffentlich darüber lustig zu machen, ist echt nicht mehr, als schwächere Personen bloßzustellen - und sicherlich keine Comedy.
Eine Ex-Prostituierte findet auf Instagram ziemlich gute und klare Worte dafür:
Aber ich mach's mir auch leicht, wenn ich nur das verurteile, was ich eh nicht witzig finde. Schwieriger wird's natürlich, wenn das Verhalten von Menschen reflektiert werden muss, die man wirklich witzig findet.
Heinlein und Weigert
Seit einiger Zeit folge ich Evelyn Weigert auf Instagram und was soll ich sagen? Die Frau ist einfach unfassbar witzig. Deswegen war ich einigermaßen überfordert, als meine neue Liebings-Instagrammerin den Zorn der Body Positivity - Bewegung auf sich gezogen hat.
In einer Podcastfolge von Evelyn Weigert und Basti Heinlein machte sich Evelyn über "typische fette Jugendliche vom Dorf" lustig. Und da hatten wir das Dilemma: Die eine Seite sagt jetzt, Bodyshaming ist niemals ok – die andere Seite stempelt die Äußerungen locker als Witz ab. Aber betrachtet man die Situation objektiv - du ahnst es schon - werden wieder mal einfach nur Schwächere verhöhnt.
Der besagte Ausschnitt ist inzwischen aus dem Podcast geschnitten worden, unter anderem wegen dieser Reaktion:
Und spätestens bei diesem Anblick bleibt das Lachen doch sowieso im Hals stecken. Und so gern, wie ich persönlich über Evelyn Weigert lache - ein Witz der andere bloß stellt, ist kein guter Witz. Und ja, das darf Humor zwar, aber vielleicht sollte er manche Dinge eben einfach trotzdem nicht.
So, und was darf Humor jetzt und was nicht?
Abschließend lässt sich vermutlich nur Folgendes festhalten: Es geht einfach nicht darum, dass jede*r mit einem "Witzig" und "Nicht Witzig" - Stempel durch die Gegend läuft, sondern darum, wo grundsätzlich die Grenzen des Humors liegen und wo nicht. Wie bereits Curse schon sagte: "Freiheit heißt, es macht manchmal auch Sinn/ Dass meine Freiheit da enden muss, wo die Freiheit eines Anderen beginnt."Nur weil ich etwas witzig finde, kann ich etwas Menschenverachtendes nicht als Satire oder Comedy abstempeln und darüber beruhigt lachen. Und andersherum: Nur weil ich etwas nicht witzig finde, hat es vielleicht trotzdem eine Berechtigung.
Artikel teilen: