Influencer*innen - aber eben vor allem Influencerinnen - müssen ziemlich viel Kritik einstecken. Oft berechtigt, noch öfter aber auch nur schlecht getarnter Frauenhass.
Der Beruf "Influencer*in" ist eigentlich nicht mehr neu - inzwischen haben wahrscheinlich auch die größten Boomer*innen verstanden, dass man mit "ein bisschen Schminke in die Kamera halten" gutes Geld verdienen kann. Aber genau da fängt's ja schon an: Die immer selben Vorurteile bleiben über die Jahre erhalten. Influencer*innen - aber vor allem Influencerinnen - sollen oberflächlich, einfältig und selbstverliebt sein. Sie üben keinen richtigen Job aus und das schlimmste: Sie werden maßlos überbezahlt. Aber: Wenn sich diese Vorurteile zum Großteil nur gegen die Frauen vor der Kamera richten, könnte es doch auch sein, dass es sich dabei vielleicht gar nicht um Kritik am Berufsbild oder unserer materialistischen Konsumgesellschaft, sondern einfach nur um gute alte Misogynie handelt.
Misogynie: krankhafter Hass von Männern gegenüber Frauen (Medizin, Psychologie); Frauen entgegengebrachte Verachtung, Geringschätzung; Frauenfeindlichkeit (bildungssprachlich)
Junge, erfolgreiche Frauen kommen halt nicht immer gut an
Am Berufsbild Influencing ist vor allem eine Sache ganz neu: Es ist ein Beruf, in dem vor allem Frauen arbeiten (der Frauenanteil liegt bei um die 70 Prozent) UND TROTZDEM ist es ein Berufszweig, in dem ein Mensch sehr gutes Geld verdienen kann.Und das ist unsere Gesellschaft eigentlich anders gewöhnt:
Denn die anderen Berufszweige, die stark von Frauen dominiert sind, sind in der Regel schlecht bezahlt. Erziehung, Pflege, Friseursalon, Kasse, Gebäudereinigung - alles Berufszweige, in denen überproportional viele Frauen arbeiten und die vergleichsweise krass unterbezahlt sind.
Influencing ist also eine Neuheit: Ein frauendominierter Beruf, in dem selbstbestimmt und erfolgreich Geld gemacht werden kann. Da muss sich die Gesellschaft - und vor allem viele Männer - anscheinend wohl erst dran gewöhnen.
Denn der Hass, der vor allem jungen Frauen entgegengebracht wird, wenn sie sich durch Social Media zum Beispiel schon in den 20ern teure Autos und Eigenheim leisten können, ist extrem. Und extrem inakzeptabel.
Wenn sich Mirella (@mirellativegal) ein Elektroauto kauft, wenn Madeleine Alizadeh (@dariadaria) eine neue Waschmaschine geschenkt bekommt oder wenn Bianca Klaßen (@bibisbeautypalace) ihr Haus zeigt, bekommen viele Menschen vor Wut Schaum vor dem Mund. Aber warum? Bei Fußballern oder Musikern löst es ja auch keine Hasswelle aus, wenn sie sich schon in jungen Jahren Luxus leisten können. Da akzeptieren wir das.
Aber junge, erfolgreiche, wohlhabende und selbstständige Frauen machen vielen Menschen wohl Angst, lösen Unbehagen, Neid und vor allem Hass aus.
Warum sonst haben sich so viele Menschen lautstark darüber aufgeregt, dass Playmobil ein Influencerinnen-Figurenset rausgebracht hat. Mimimi, falsche Vorbilder, unrealistische Ziele, Oberflächlichkeit, blabla. Aber wenn der Sohn mit sechs Jahren meint, er will Profi-Fußballer werden, sagt ja auch keine*r, dass das komplett unrealistisch ist und dass er - selbst wenn er es schaffen sollte - unverschämt viel Geld mit sinnlosem Rumgekicke in einer komplett zweifelhaften Branche machen wird.
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Und auch wenn ich hier Hass von Männern gegen Frauen thematisiere: Es gibt natürlich auch einiges an Hass von Frauen gegen Frauen. Aber das ist noch mal ein großes anderes Thema, das seine Wurzeln ganz wo anders hat...
Kritik oder Misogynie?
Ich bestreite ja gar nicht, dass Kritik ab und an berechtigt und auch nötig ist. Lohn und Gehalt sind oft unfassbar unfair verteilt und ja, auch bei Influencerinnen gibt's solche und solche. Einige sind sich ihrer sozialen Verantwortung tatsächlich nicht bewusst, präsentieren falsche Schönheitsideale, halten überteuerte Tees und Kerzen von zweifelhaften Firmen für gesponserte Posts in die Kamera und wollen damit nur schnell das große Geld machen. Also ja, am Berufszweig "Influencing" gibt's berechtigte Kritik, aber der Hass gegen Influencerinnen basiert halt oft nicht auf der Tätigkeit des Influencens, sondern darauf, dass es erfolgreiche und selbstständige Frauen sind.Denn wenn sich Kritik an unfairer Bezahlung, Konsum, Oberflächlichkeit und Materialismus komischerweise nur gegen die Influencerinnen richtet, ist das halt vielleicht keine Kritik, sondern ganz offen ausgelebter Frauenhass. Schließlich könnte man ja auch die Unternehmen, die ihre Mitarbeiter*innen schlecht bezahlen, die Konzerne, die überteuerte Produkte verkaufen oder die Regierung kritisieren.
Und überhaupt: Was heißt schon Kritik?
Wenn ich in diesem Zusammenhang von Kritik spreche, ist das eigentlich eh schon fraglich. Immerhin steht selten etwas in den Kommentaren wie "Schön, dass deine harte Arbeit belohnt wird, ich wünsche mir für die Zukunft, dass das auch in anderen Bereichen funktioniert" oder "Die Firma ist fragwürdig, setz dich doch bitte etwas genauer mit deinen Kooperationspartner*innen auseinander" - Ne, ganz oft bekommen Influencerinnen diese und ähnlich widerliche Kommentare an den Kopf geworfen:Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Es ist also ganz oft sowieso keine Kritik, sondern Hass, Abwertung und Beleidigung. Gegen Frauen. Mal mehr und mal weniger gut getarnte Misogynie, die auf Instagram (und anderen Social Media - Plattformen) wild ausgelebt wird.
Wir brauchen bessere Regeln und Gesetze
Es ist wichtig anzumerken, dass Hatespeech, Hassposts und Hasskommentare digitale Gewalt sind und zur Anzeige gebracht werden können und sollten. Es kommt nicht immer zu einer Strafverfolgung und noch seltener zu einer Verurteilung - trotzdem helfen Strafanzeigen dabei, ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein für das Problem Hass im Netz zu schaffen. In manchen Bundesländern kann Hatespeech sogar schon online zur Anzeige gebracht werden. Hilfe und Infos findest du zum Beispiel hier beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz oder bei der Beratungsstelle HateAid. Aber obwohl der Hass im Netz immer präsenter und extremer wird, fehlen nach wie vor bessere Regeln und Gesetze.Nicht nur seitens der Regierung, sondern auch von den Plattformen selbst
Bei Nippeln von Frauen schafft es Instagram doch auch sofort, die Inhalte zu löschen - ganz anderes Aufregerthema btw - warum nicht auch bei Hasskommentaren? Und bei Inhalten rund um Corona kommt sofort ein Info-Banner (das ist super, keine Frage), aber wäre es nicht auch möglich, ähnliche Banner bei frauenfeindlichen (und antisemtiischen, rassistischen, ableistischen,...) Inhalten anzuzeigen?
Oder aber, wir stürzen einfach gleich das Patriarchat...
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