Wie rechts ist Deutschland?

Wie rechts ist Deutschland?

Das fragt Reporter Thilo Mischke in einer aktuellen Reportage für den TV-Sender ProSieben

Warum die Reportage "Rechts. Deutsch. Radikal" wirklich sehenswert ist.


Warum sprechen gerade alle über diese TV-Reportage?

Anfang der Woche ging ein Zitat durch die Nachrichten, das schockiert. Der ehemalige AfD-Pressesprecher Christian Lüth gab, als er sich unbeobachtet fühlte, nicht nur Dinge von sich wie:
"Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD."

In derselben Konversation spricht er auch vom "erschießen" und "vergasen" von Migranten. Menschenverachtender geht es kaum. Aufgedeckt wurde diese offensichtlich rechtsradikale Gesinnung des AfD-Politikers in der Reportage Rechts. Deutsch. Radikal, die am Montag Abend beim Privatsender ProSieben ausgestrahlt wurde (und die du dir hier nochmal werbefrei anschauen kannst). Die ZEIT veröffentlichte den Namen des "hohen AfD Funktionärs", wie er in der Reportage genannt wird, Lüth wurde von der Partei ausgeschlossen.

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Montag, 20:15 auf @prosieben . Lasst uns debattieren.

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Mal wieder ein Einzelfall in der AfD? Dass rechtsradikale Gesinnungen womöglich weit in die Partei reichen, wird nicht erst seit gestern vermutet und beobachtet. Und dass diese Gesinnung auch auf fruchtbaren Boden fällt, etwa bei den Menschen, die diese Partei gewählt haben.

Denn hinter der Entschuldigung der Protestwähler*innen kann sich Deutschland mittlerweile nicht mehr verstecken. Auch darum geht es in Rechts. Deutsch. Radikal.


Was ist neu an Rechts. Deutsch. Radikal 

Neu ist erstmal nichts. Rechte gibt es in Deutschland schon immer. Und in den letzten Jahren erhalten Bewegungen, die vermeintlich die Sorgen der bürgerlichen Mitte ansprechen, dabei nationalistische Weltanschauungen und rechtsradikale und antisemitische und Inhalte transportieren, mehr Zulauf. Aber die Reportage stellt die richtigen Fragen:

Wie passiert heute der Einstieg in die rechtsradikale Szene? Was hatte und hat PEGIDA damit zu tun? Und wie läuft eine Radikalisierung ab?


Reporter Thilo Mischke machte sich eineinhalb Jahre auf die Suche nach Antworten und filmte in unterschiedlichen Teilen des Landes. Dabei kommt er mit mehreren bekannten Figuren der rechten Szene in Kontakt: Mit einem Teenager, der sich als rechter YouTuber im Internet für "seine Weltanschauung" einsetzt und sich als Einstiegshilfe in die rechte Szene und damit als Rekrutierer für die Revolution von Rechts versteht, mit dem Veranstalter des rechten Boxwettkampfes Kampf der Nibelungen, der offen und abgeklärt von seiner "politischen Einstellung" spricht - und davon, welche Rolle Entertainment-Veranstaltungen bei der Rekrutierung für die rechte Szene spielen. 

Thilo Mischke spricht auch mit einer YouTuberin, die im Lauf der Doku einen Wandel durchmacht und aus der Szene aussteigen möchte - und dem Reporterteam schlussendlich beim Festhalten der oben genannten erschreckenden Zitate hilft.


Eingeordnet werden die Aussagen der Interviewten von Experten, zum Beispiel von Christian Fuchs, Autor des Buches Das Netzwerk der Neuen Rechten. Auch der Präsident des Amtes für Verfassungsschutz in Thüringen, Stephan J. Kramer, kommt zu Wort: 



Warum die Reportage von Thilo Mischke sehenswert ist

Als Zuschauer*in erhält man in zwei Stunden einen ausführlichen Einblick in die rechte Szene in Deutschland. Thilo Mischke kommt mit Menschen ins Gespräch, von denen man erstmal nicht vermutet hätte, dass sie überhaupt mit den etablierten Medien reden wollen. Und man stellt - vielleicht erschrocken - fest, dass die Grenze des Sagbaren nicht nur vermeintlich, sondern wirklich, immer weiter nach rechts gerückt ist. Dass es Menschen innerhalb einer Partei gibt, die im Bundestag sitzt, deren Ansichten verfassungswidrig sind. Und dass es eben nicht nur ein paar tätowierte Besucher*innen von Rechtsrock-Festivals sind, die diese Ansichten teilen.

Der Bogen von den wenigen Spinner*innen in die Mitte der Gesellschaft bis in die Bundespolitik gelingt.


Dass eine Veranstaltung unter dem Dach des Bundestages stattfinden kann, zu der die AfD eingeladen hat und in der der österreichische Autor und Politikwissenschaftler Michael Ley für seinen Vorschlag eines generellen Verbots des Islam Beifall erntet, wirft Fragen auf. Zumindest sollte beim Verfassungsschutz vielleicht darüber diskutiert werden, ob es ausreicht, den rechten "Flügel" der AfD zum Beobachtungsobjekt erklärt zu haben.


Rechts. Deutsch. Radikal. macht vieles richtig. Problematisch ist vielleicht, dass manche Aussagen von offen Rechtsradikalen in der Reportage unkommentiert bleiben, zum Beispiel dass sich der junge YouTuber Sanny Kujath eben nicht zum zweiten Weltkrieg und zum Holocaust äußern möchte - und Reporter Thilo Mischke darauf wenig bis gar nichts erwidert. Aber Mischke geht auch auf Konfrontation, zum Beispiel mit zwei Anführern der Partei Die Rechte, die für die Finanzierung ihrer Sache mit Nazi-Symbolen provozieren, diese auf Merchartikel drucken und im Internet verkaufen.

Die Doku ist nicht das erste journalistische Investigativ-Stück, das die Neue Rechte in Deutschland unter die Lupe nimmt. 


Und ja, auch die teilweise reißerische Aufmachung - Ausstrahlung beim Muttersender ProSieben - stößt manchen vielleicht unangenehm auf. Guter Journalismus ist das trotzdem! Die zwei Stunden sind sinnvoll investiert, weil es darum geht, eine öffentliche Debatte voranzutreiben, die wir viel zu zaghaft führen. Und es tut gut zu wissen, dass die Ausstrahlung im Privatfernsehen zur Primetime (im Übrigen ohne Werbeunterbrechung) potenziell auch Menschen zu erreichen vermag, die sich sonst weniger mit politischen Themen befassen.

Denn am Ende stellt Thilo Mischke ganz richtig fest, dass die Rechtsradikalen zwar (noch) in der Minderheit sind, dass die Mehrheit aber nicht schweigen darf. Debatte und Gegenrede, auch im Alltag und besonders im Internet in Kommentarspalten sind wichtig. Heute - wenn Corona-Leugner*innen neben Reichsfahnen-Schwenker*innen demonstrieren - umso wichtiger.

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