Verkehrswende dank 9-Euro-Ticket?

Verkehrswende dank 9-Euro-Ticket?

Philipp Kosok von der Agora Verkehrswende im Interview

Von  Lola Aichner (Interview)
In den letzten drei Monaten waren die Züge und Busse ziemlich voll: Viele Menschen nutzen das 9-Euro-Ticket, um von A nach B zu kommen oder einen Ausflug zu machen. Trotzdem soll die Aktion voraussichtlich nicht verlängert werden. Die Gründe dafür und wie es ab September weitergehen könnte, erfährst du hier...

9-Euro-Ticket: Wie geht's weiter?

Seit dem 1. Juni haben es viele von uns in der Tasche und fahren damit zur Arbeit, ins Grüne oder einfach so durch die Gegend: das 9-Euro-Ticket. Ende August läuft das Projekt aus – ob es verlängert wird, steht noch in den Sternen. Welchen Erfolg haben sich Politiker*innen eigentlich versprochen? Wurde er erreicht? Und wie geht es ab September weiter?

Alles Fragen, über die egoFM Lola mit Philipp Kosok gesprochen hat – er ist der Projektleiter des Öffentlichen Verkehrs bei Agora Verkehrswende.

  • Bilanz zum 9-Euro-Ticket
    Philipp Kosok vom von Agora Verkehrswende im Interview

Bezahlbare Tickets: Zu gut, um wahr zu sein?

Ende Mai konntest du dir erstmals ein 9-Euro-Ticket an den DB-Schaltern deines Vertrauens, im Bus oder auch am Automaten kaufen. Seit Juni wird es von vielen Menschen rege genutzt. Der ursprüngliche Anlass, dass das 9-Euro-Ticket eingeführt wurde, war weniger die Menschen zum Bahnfahren zu animieren (zum Beispiel aus Nachhaltigkeitsgründen), sondern Verbraucher*innen sollten in erster Linie finanziell entlastet werden. Ähnlich wie beim Tankrabatt sollte das 9-Euro-Ticket aber gezielt für Menschen sein, die vorrangig mit Bus und Bahn unterwegs sind.

"Und ich denke, unter diesem Aspekt ist die 9-Euro-Ticket-Aktion durchaus erfolgreich, denn sehr viele Menschen haben sie genutzt. Und haben dadurch auch innerhalb dieser drei Monate klar Geld gespart." - Philipp Kosok

Geschenkt war der Rest des vollen Ticketpreises natürlich nicht, denn die Aktion wird durch Steuern und damit letztlich durch die Bürger*innen finanziert. Insgesamt wurde die Aktion in den drei Monaten mit 2,5 Milliarden Euro finanziert (übrigens weniger Geld als die Bundesregierung für den Tankrabatt ausgegeben hat). Deswegen ist es auch wichtig abzuwägen, ob das 9-Euro-Ticket etwas ist, was wir dauerhaft finanziell stemmen können, oder ob es nicht andere Hebel gibt, die wesentlich effizienter sein könnten.

"Und die Herausforderung, die ich dabei sehe, ist natürlich einerseits die Haushaltsmittel der Bundesregierung auch endlich sind. Und wir deswegen dafür plädieren, sie möglichst sinnvoll und effizient einzusetzen." - Philipp Kosok


Keine CO2-Einsparungen durch günstige ÖPNV-Tickets

Natürlich sind die sozialen Vorteile des 9-Euro-Tickets offensichtlich. Doch zusätzlich hat die Bundesregierung noch viele Herausforderungen beim Thema Klimaschutz zu stemmen - aktuell sind wir nämlich leider noch weit entfernt davon, unsere Klimaziele zu erreichen. Und gerader der Bereich Verkehr hat enormes Potenzial, viel CO2 einzusparen und Deutschland in Sachen Klimafreundlichkeit ein ganzes Stück voranzubringen. Den erhofften positiven Effekt für das Klima hat das 9-Euro-Ticket allerdings nicht gebracht. Die meisten Menschen, die das Ticket nutzen, waren sowieso schon mit Bus und Bahn unterwegs oder nutzen es nur für Wochenendausflüge. Lediglich ein sehr kleiner Teil des Personenverkehrs konnte dadurch von der Straße auf die Schienen verlagert werden. Nach aktuellem Stand der Zahlen sind das gerade einmal drei bis vier Prozent der Personen, die das Ticket nutzen. Um unsere Klimaschutzziele zu erreichen, müssten wir aber mindestens 30 bis 40 Prozent des Verkehrs von der Straße auf die Schienen verlagern. Philipp Kosok sieht zum Beispiel den Ausbau des ÖPNV-Angebots als einen wichtigen Punkt, in den die Gelder stattdessen zunächst fließen sollten.

"Das zeichnet sich gerade ab, dass viele Menschen - und das überrascht auch nicht - vom 9-Euro-Ticket gar nicht profitieren können. Weil bei ihnen - da sind wir vor allem in den ländlichen Räumen - das Angebot so schlecht ist, dass der Preis für sie gar nicht so relevant ist, wenn der Bus eben fast nie abfährt." - Philipp Kosok

Statt die oben erwähnten 2,5 Milliarden Euro in zum Beispiel drei weitere Monate für das 9-Euro-Ticket zu investieren, wäre es vielleicht sinnvoller, dieses Geld zunächst in den Ausbau der Infrastruktur des ÖPNV zu stecken. Beispielsweise in Städten, in denen das Netz überlastet ist oder aber auch in ländlichen Gegenden, wo der ÖPNV quasi kaum oder gar nicht vorhanden ist.

"Wir müssen durchaus auf diesem Finanzierungsniveau bleiben und wahrscheinlich noch etwas drauflegen. Aktuell sperrt sich aber die Bundesregierung hier weiterhin Mittel in den ÖPNV fließen zu lassen." - Philipp Kosok


Komplette Überlastung

Insgesamt wurden in dem Aktionszeitraum rund 36 Millionen Tickets verkauft (Stand Mitte August). Das heißt also, dass monatlich acht bis zehn Millionen Menschen das 9-Euro-Ticket genutzt haben. Kein Wunder also, dass die Bahnen, Trams und Busse rappelvoll waren. Besonders am Wochenende oder am Feiertag und in Regionalzügen Richtung beliebter Ausflugsziele war die Nachfrage enorm. Auch wenn die Studien zur Auslastung durch das 9-Euro-Ticket noch laufen und sich Expert*innen erst Ende August eindringlich damit auseinandersetzen können, wer wann wo und wie viel mit dem ÖPNV gefahren ist, erkennt man jetzt bereits, dass das Schienennetz dieser neuen hohen Nachfrage absolut nicht gewachsen ist, so Philipp Kosok.

"[Das Schienennetz] ist eigentlich schon vor der 9-Euro-Ticket-Aktion in vielen Regionen wirklich an der Grenze der Belastbarkeit gewesen. Seit Jahrzehnten wurde leider zu wenig in das Schienennetz investiert." - Philipp Kosok

Bevor mehr Fahrgäst*innen und Züge auf die Schienen kommen - gerade in den Ballungszentren - muss das Schienennetz ausgebaut werden. Bis dahin kann sich an der aktuellen überlasteten Situation nichts ändern.



Wie geht's ab September weiter?

Aktuell sieht es ganz danach aus, dass das 9-Euro-Ticket nicht weiter angeboten wird. Philipp Kosok würde sich jedoch wünschen, dass zumindest einige Aspekte des 9-Euro-Tickets auch in Zukunft umgesetzt werden. Einen der großen Vorteile neben dem günstigen Preis sieht er vor allem darin, dass das Ticket sehr unkompliziert zu verwenden ist. Fahrgäst*inne müssen sich keine Sorgen mehr um Tarifzonen machen, sondern können mit dem 9-Euro-Ticket quasi das gesamte Angebot des ÖPNV nutzen.


Ein kostengünstiges Ticket wie in den letzten drei Monaten ist in seinen Augen eher schwer auf Dauer umzusetzen. Da sich jedoch nicht jede*r ein Monatsticket leisten kann, sollten hier in Zukunft auch sozialverträgliche Angebote für Personen mit geringerem Einkommen geschaffen werden.

"Wir sehen aber auch, dass die große Mehrheit der Menschen bereit ist, für ein wirkliches gutes, überzeugendes Angebot auch einen gewissen Betrag zu zahlen [...]. Für die Mehrheit der Menschen ist das Problem eigentlich, dass das Angebot so schlecht ist." - Philipp Kosok

Sowohl ein einfaches Ticket nach dem Vorbild des 9-Euro-Tickets, als auch ein erweitertes Angebot steht allerdings als Nachfolge für das 9-Euro-Ticket aktuell noch in den Sternen.

Sitting, waiting, wishing

Philipp Kosok sieht das 9-Euro-Ticket trotz aller Schwierigkeiten als Erfolg - gerade, weil es das Thema ÖPNV wieder mehr in den öffentlichen Diskurs gebracht hat. Er sagt aber auch, dass wir uns auf dem Erfolg des Tickets nicht ausruhen dürfen, sondern nun daran arbeiten sollten, neue Angebote und Wege zu finden, den ÖPNV zu stärken - sowohl aus sozialen, als auch aus Klimaschutzgründen. Das deckt sich auch mit den Zielen der Bundesregierung, die die Fahrgäst*innenzahlen deutlich steigern will. Jetzt heißt es also abwarten, welche Strategie die Bundesregierung vorlegt, um dies nach Ablauf der 9-Euro-Ticket-Aktion zu erreichen.

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