Was bedeutet eigentlich Diversity? Kann man Diversität einfach so mit Vielfalt gleichsetzen? Und wie hängt der Begriff "Tokenism" damit zusammen?
Dr. Natasha A. Kelly beantwortet jede Woche eine Frage aus der egoFM Community zum Thema Rassismus. Diese Woche: Was heißt Diversity?
Natasha ist Afrofuturistin, promovierte Soziologin, Kommunikationswissenschaftlerin, Autorin, Kuratorin und Künstlerin. Bis zum 30. Juni hattest du die Möglichkeit, deine Fragen rund um das Thema Rassismus zu stellen und ab jetzt kommen von Natasha wöchentlich die Antworten.
Was bedeutet eigentlich Diversity?
Gerade in Deutschland wird der Begriff Diversity fast schon inflationär genutzt - aber der eigentlichen Bedeutung wird nur sehr wenig Beachtung geschenkt. Diversity beschreibt zuerst ein Konzept, das seinen Ursprung in der Schwarzen US-amerikanischen Bürger*innenrechtsbewegung hat. Unterschiedlich von Rassismus betroffene Gruppen wollten dabei gegen die weiße Vorherrschaft kämpfen.Heute profitieren von Diversity vor allem in Deutschland fast nur weiße Menschen. Diversity wird dabei häufig als Aushängeschild genutzt, um sich selbst beispielsweise als Unternehmen oder Organisation zu profilieren.
"In Deutschland wurde dieses Bottom-up Konzept auf den Kopf gestellt und zu einem top-down Konzept entwickelt. Das bedeutet, dass viele Institutionen und Organisationen oder Unternehmen Diversity einsetzen, um beispielsweise ihre Belegschaft zu diversifizieren." - Dr. Natasha A. Kelly
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Bottom-up und top-down werden im Bereich Management und Organisation genutzt, um die Art und Weise wie Entscheidungen gefällt werden, zu beschreiben. Der Bottom-up beschreibt beispielsweise Veränderungen und Entscheidungen, die von unten (von der Basis) aus entstehen. Durch das gemeinsame Engagement von Menschen können so Entscheidungen herbei geführt werden. Der Top-down-Ansatz beschreibt dabei zum Beispiel Entscheidungen, die von oben von einer einzelnen oder wenigen Personen für alle gefällt werden.
Symbolpositionen verhindern strukturellen Wandel
Eine Folge davon kann sogenannter Tokenism (aus dem Englischen token - Zeichen, Wertmarke, Symbol) sein. Es gibt nicht wirklich ein gutes Wort im Deutschen, um den Begriff adäquat zu erklären - das Konzept dahinter ist jedoch sehr gängig. Der Begriff Tokenism wurde erstmals in den 70er-Jahren geprägt. Dabei untersuchte die US-amerikanischen Soziologin Rosabeth Moss Kanter wie große, internationale Unternehmen ihre Angestellten aussuchten. Rosabeth fand heraus, dass beispielsweise Frauen oftmals eine Alibiposition einnahmen. Ähnlich verhält es sich auch noch heute, beispielsweise bei Schwarzen Mitarbeitenden. Nach dem Motto: Eine Organisation, die eine Schwarze Person angestellt hat, kann ja nicht rassistisch sein und es wird automatisch von Diversity gesprochen.Tokens werden instrumentalisiert und kommen letztlich keinem strukturellen Wandel zu Gute, können also beispielsweise in ihrem Unternehmen oder in der Gesellschaft keine Veränderungen voranbringen. Sie nutzen einzig dem Unternehmen selbst. Oftmals haben Tokens kaum Aufstiegschancen und werden nicht als Individuen gesehen, sondern lediglich als Vertreter*innen einer Gruppe, die sie für das Unternehmen repräsentieren sollen. Tokenism führt daher also nur zu oberflächlichen und scheinbaren, nicht aber nachhaltigen Veränderungen und hat keinen Einfluss in der Bekämpfung von strukturellem Rassismus in unserer Gesellschaft.
Genau so wie Tokenism in Unternehmen oder Institutionen existiert, tritt dieses Konzept übrigens auch im Privaten auf, beispielsweise wenn es um den Freund*innenkreis oder den Alltag geht.
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