Die Barfußfans feiern den Wegfall der Coronaauflagen.
Es kam unerwartet, es kam ohne Vorwarnung und es stellte eine ganze Menge auf den Kopf.
Das dritte Album von AnnenMayKantereit war definitiv nie so geplant, aber das klanglich ziemlich andere Konzeptalbum 12 über Corona und alles, was damit zusammenhing, traf im aller tiefsten Lockdown den Zeitgeist komplett ins Schwarze. Eine Wandlung, die der Band nicht jede*r zugetraut hat. Gute zwei Jahre später ist die Pandemie ziemlich überwunden und die Lebenskrisen sind wieder individueller geworden. Und AnnenMayKantereit sind auch wieder da, mit einer Platte, die so ziemlich alles anders macht als der Vorgänger.Mit Es ist Abend und wir sitzen bei mir kehren sie mit allergrößter Freude in den Alltag zurück.
Mit allen anderen
Nachdem 12 in größtmöglicher Isolation entstehen musste und der ein oder andere Gesangspart sogar ins Telefon eingesungen wurde, wollten die Jungs das nächste Album komplett anders angehen. Es sollte eine soziale Erfahrung werden. Anstatt sich - wie eigentlich üblich - in bandinterne Isolation zu begeben, haben AnnenMayKantereit ihren Bandraum für den Freundeskreis geöffnet. Am Album arbeiten und einfach nur zusammen Rumhängen wurden zur gleichen Aktivität.Und genau dieses Gefühl des Zusammenseins ist die musikalische Seele von Es ist Abend und wir sitzen bei mir. AnnenMayKantereit feiern die Rückkehr des analogen sozialen Lebens.
Und weil alle Coronathemen mittlerweile schon so oft durchgekaut wurden, dass mittlerweile jegliche Spur von Geschmack verschwunden ist, werden die auch gleich im ersten Song in den Ruhestand verbannt.
"Nach so vielen Monaten alleine musst du mir erst mal beweisen, dass du es noch kannst: Tanz"
"Lass es kreisen" eröffnet mit knackigem Bass und doppelter Henning May Stimme, die zum Tanzen auffordert - Widerstehen ist da kaum möglich und man befindet sich wieder im postpandemischen Gedränge.
125 Gramm Mehl und flüssige Butter
Wo Deichkind vor gerade ein Mal ein paar Wochen den Alltag noch in absurde Kurzgeschichten verpackt haben, besingen AnnenMayKantereit einen ziemlich realistischen Dauerzustand. Inklusive Gefühlen wie Fernweh ("3 Tage am Meer"), Nostalgie ("Orangenlied"), Liebeskummer ("Du tust mir nie mehr weh") und manchmal auch einfach nur der Frage, wo man für den Abend noch Gras herbekommt. Egal ob sich Henning dabei eher kryptisch gibt oder ziemlich direkt formuliert - der Sänger hat immer noch ein einzigartiges Gespür für einfühlsame Textzeilen.Auch wenn die 15 Songs in ähnlich viele verschiedene Richtungen wegspazierten, bleiben die Kölner hörbar in ihrer Komfortzone. Und natürlich ist das immer so eine kleine Zwickmühle, wenn Bands sich zu sehr auf ihrem Sound ausruhen. Aber ihr viertes Album ist für AnnenMayKantereit eben bewusst keine große Weiterentwicklung - sondern eine Rückkehr. In die Welt, die die Kölner eben am liebsten besingen, egal wie kompliziert, auslaugend und frustrierend sie manchmal sein kann. Und da passt es nur zu gut, dass AnnenMayKantereit sich eben genau den Sound ausgesucht haben, in den sich die Fans eh schon so sehr verliebt haben.
Artikel teilen: