Balthazar veröffentlichen ihr fünftes Album und zeigen uns damit mal wieder: Kein Gefühl, das ansatzweise mit Liebe zu tun hat, lässt sich so weit verdrängen, dass die Band es nicht hervorbringen könnte.
Aber nun erstmal zu etwas Wesentlicherem: Nein, wir wissen es nicht - das war doch deine Frage, oder? Was das Ding auf dem Cover ist? Kreiert wurde es von der niederländischen Bildhauerin Margriet Van Breevort. Ihre Spezialisierung liegt auf hyperrealistischen Skulpturen*. Nervt es dich, das Wesen? Ist es unangenehm? Dieser Blick? Dieses dezente Lächeln, das ein inneres Brodeln andeutet. Die ineinander verschlungenen Fingerchen, die drehenden Däumchen. Diese wahnsinnig unbequeme Sitzgelegenheit. Es sollte dich nerven. Denn es beschreibt die nervigste Aktivität seit Erfindung der Unterhaltung:
Das Warten
Oh, wie wir alle seit geraumer Zeit warten. Hände hoch wenn dein innerer Kalender insgeheim noch auf März 2020 eingestellt ist! Obwohl wir uns doch so gefreut haben, das längste Jahr denn je hinter uns zu haben, haftet es gefühlt immer noch an uns. Die Zeit steht still. Und doch bekommt man einfach nichts erledigt. Genau wie alles andere künstlerische Schaffen der letzten Monate ist auch Sand von der Pandemie inspiriert."There's a theme running through these tracks, waiting, restlessness, not being able to live in the moment or putting your trust into the future" - sagt die Band.
Noch viel mehr als Pandemie hören wir aber (zum Glück) eines: Liebe. Aber kein Schnulz. Klar, immerhin sprechen wir hier von Balthazar, die sich eher der rohen, faulen, blinden, meist fatalen Liebe verschrieben haben.
Hier klingen viel mehr starke Gefühle, die mal existierten, dann zu Gunsten einer neuen Liebe zurücktreten mussten - aber nie ganz verschwunden sind und jetzt dauernd irgendwo lauern. Und eben warten.
Die Neuigkeiten an Sand
Weit im Voraus (im Oktober letzten Jahres) wurde schon groß angekündigt:"We did a lot of things that we haven't done previously – we've never used as many drum samples or used bass synths before. So that was an exciting step for us." - Maarten Devoldere
Vielleicht auch wieder so ein Pandemie-Ding, immerhin musste sich die Produktion des Albums an die Maßnahmen anpassen. So entstand Sand weitestgehend jeweils von zu Hause aus:
"It was a very modern way of making an album, due to the constraints of the pandemic and we had to work remotely and converse electronically rather than in a studio." - Jinte Deprez
Nun hatten sich Balthazar ja gerade erst neu erfunden - wir erinnern uns an das Vorgängeralbum Fever aus 2019, das nun gut zwei Jahre alt ist. Damals gab es einige Wechsel in der Band, so hat zum Beispiel das Gründungsmitglied, Violonistin und Keyboarderin Patricia Vanneste die Band verlassen. Hinzu kam stattdessen der Multiinstrumentalist Tijs Delbeke, der in Sand eine scheinbar noch größere Rolle als auf Fever einnehmen konnte.
So klingt Sand schließlich
In den Genuss jener im Voraus fleißig angekündigten Drums kommen wir bereits beim ersten Track, "Moments". Auch die Synthesizer lassen nicht lange auf sich warten, ab 2:30 Minuten desselben Songs wallen sie langsam auf. Und ab. Und auf und ab, bis sie kurze Zeit darauf wieder von imposantem Getrommel verschlungen werden. "Was passiert sonst, in dem Song?", darfst du gerne fragen und wir antworten dir: Na, typisches Balthazar Zeug! Du wirst den Klang also definitiv wiedererkennen, auch wenn die Band aus Gent an Sand einiges Neues versucht.Besonders großen Erkennungswert hat eben "Losers", übrigens die erste Single-Auskopplung des Albums. Der Track ist wirklich unverkennbar. Maarten Devolderes einlullendes Gebrumme, lässiger Beat, ein melancholisches Gitarrensolo, Kopfgesang im Refrain.
Spätestens "On a Roll" hat dich dann aber. Und es hat dich hart. Zumindest wenn du schon mal jemanden geliebt hast, den du lieber nicht hättest lieben sollen. Was deinen verherzten Kopf trotzdem nicht davon abhält, immer noch und vor allem immer wieder daran zu denken. Weswegen dich die ganze Sache damit nicht aufhört zu verfolgen. Du kannst rennen, aber es ist doch eher zwecklos.
"Ah I know you've seen it coming / Telling me I should stop running from it all / But how I keep on running / Running right to you" - Balthazar im Song "On a Roll"
Dieses Gefühl lässt sich nicht kontrollieren, nicht eindämmen, nicht lenken - du kannst nicht davor entkommen und es auch kein bisschen reduzieren - wie es übrigens auch in den Lyrics heißt. Fantastischer Song - brutales Gefühl.
Im Vordergrund steht die Emotion
Aber das ist genau der Grund, warum wir Balthazar so sehr lieben, oder? Weil sie diese mistigen kleinen Gefühle, die in allen von uns lungern ansprechen und an die Oberfläche locken, wo wir sie mit einem guten Schuss Wein ertränken oder zumindest in die Mangel nehmen können. Nein Halt, das sollte nicht die Lösung sein, das mit dem in Alkohol ertränken. Nie! Aber Apropos, beziehungsweise vielmehr: Themenwechsel! Ist das Ding auf dem Albumcover vielleicht nicht eher auch genau dieses Gefühl? Das auf deinem Gewissen oder von uns aus sogar Herzen hockt und Däumchen dreht, vermeintlich liebevoll und leicht senil lächelt während es berechnend wartet, bis du einknickst und dann doch wieder Kontakt zu dieser total katastrophalen Liebe aufnimmst? Nur eine kleine Blitzvermutung am Rande. Daher nochmal schnell Themenwechsel:Sand ist gespickt mit vielen wundervollen Momenten
Zum Beispiel bei Minute 3:30 von "I Want You", wenn der Beat sich nochmal intensiviert - wer sich hier ertappt, etwas im Klang versunken gewesen zu sein, wird sanft aufgerüttelt. Oder die maulenden Synthesizer "Linger On". Mit "Hourglass" tanzen Balthazar auch mal wieder auf diesem schmalen Grat zwischen Euphorie und Melancholie. Treibender Rhythmus, trübe Bläser. Genial.Ein Stückchen nach der Mitte verliert das Album leider etwas an Sog.
Der musikalische Gedanke hinter "Passing Through" ist einleuchtend, aber vielleicht wurde der Song an die falsche Stelle gesetzt. Als erster oder vielleicht noch zweiter Track des Albums könnte er besser kicken. "Leaving Antwerp" könnte den nachdenklichen Moment, der im Vorfeld aufgebaut wurde, erweitern und müsste nach der energetischen Stimmung von "Passing Through" nicht untergehen. Abwechslung ist eben nicht immer gut, manchmal geht es darum, Gefühle zu bewahren - und nicht darum, sie am Laufen zu halten.Die Wahl des Schlussliedes fiel auf "Powerless". Durch Gospel-Elemente im Hintergrund und in Gedanken versunken wirkendes Klaviergeklimper wird die Laune wieder dezent düster. Das Gemüt driftet zurück in die Lethargie, die Taubheit - bis dich die gerufenen "Power!" wachrütteln, quasi wie kleine Elektroschocks.
Der optimistisch klingende Song "Halfway" wäre vielleicht ein passenderer Schluss, mit dem Getrommel am Anfang würde das immerhin eine schöne Umarmung mit dem ersten Track "Moment" bilden.
Aber wenn die Reihenfolge der Songs alles ist, woran man an einem Album, das die meisten wahrscheinlich eh im Shuffle hören, meckern kann - dann ist das schon ein ziemlich gutes Album.
Tracklist: Balthazar - Sand
01 Moment02 Losers
03 On A Roll
04 I Want You
05 You Won't Come Around
06 Linger On
07 Hourglass
08 Passing Through
09 Leaving Antwerp
10 Halfway
11 Powerless
Sand von Balthazar wird am 26. Februar 2021 via Play It Again Sam veröffentlicht.
*hyperrealistische Skulptur: Lass das mal sinken, dass dieses Ding tatsächlich irgendwo auf der Welt gerade rumsitzt, genau so schaut. Und wartet.
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