Die Glass Animals hauen mit ihrem zweiten Album ein geniales Konzeptalbum raus. Wie manch ein Spielehersteller sagen würde: Rätselspaß für die ganze Familie.
Frontmann Dave Bayley musste sich zu Schulzeiten des Öfteren anhören, dass er geistig stets im La La Land abhängt. Das Debütalbum der Glass Animals, ZABA, war dafür schon Beweis genug. Es war vom Dschungelbuch inspiriert und erzählte abgefahrene Märchen, untermalt von griffigen Pop-Beats gepaart mit exotischen Drums. Die Geschichten auf How To Be A Human Being jedoch sind weitestgehend realer Herkunft - lediglich auf fiktive Figuren übertragen. Jeder einzelne Song wird dabei einer Persönlichkeit gewidmet. Dafür hat Dave Bayley irre viel Detailliebe in seine Kreaturen gesteckt und sich nicht nur überlegt, was sie denken und fühlen, sondern auch was sie essen, wie ihre Wohnung aussieht und womit sie ihre Freizeit verbringen.
Musen für die Charaktere waren echte Personen, die die Glass Animals bei der letzten Tour getroffen haben. Die Gespräche mit ihnen hat Dave Bayley aufgenommen, als Memos konserviert und dann für die Songs etwas weiter gesponnen. Mit dabei war unter anderem ein Taxifahrer, mit einer verdammt gruseligen Story. Gegenüber DIY erzählte Bayley:
"So this guy was telling me about how he went on a date with this girl that he really liked. First date. They went clubbing on this double date with their two best friends. They left the club and sat in their car, smooching in the backseat, with their friends sitting up front - also smooching. This guy tapped on the window of the driver’s seat and shot the two people in the front. He then pointed the gun at the guy telling the story, pulled the trigger again, and he was out of bullets."
Ja. Heftig. Doch hinter dem Album steckt noch viel, viel mehr. Ein paar Wochen vor der Veröffentlichung von How To Be A Human Being fing Dave Bayley damit an, in regelmäßigen Abständen Fakten zum neuen Album zu veröffentlichen.
Die wichtigsten Fakten haben wir mal eben zusammengefasst:
#01 Neben Referenzen zu Adventure Time finden sich auch noch welche zu den Büchern Everything is Illuminated und Slaughterhouse 5 und Ü-Eiern.#02 Dave Bayley hat seine Stimme diverse Male verstellt, um wie unterschiedliche Persönlichkeiten zu klingen.
#03 Auf einem der Tracks, "The Other Side of Paradise", bellt er wie ein Hund.
#04 Die Vinyl-Version von How To Be A Human Being läuft für immer - sofern ihr sie nicht selbst stoppt. Am Ende befindet sich nämlich eine Endlosrille.
#05 "McFuck" ist ein Neologismus auf "[Premade Sandwiches]", der alles bezeichnet, was man beim McDonalds besorgt hat. Angewandtes Beispiel: "What the McFuck is that?"
#06 Ein paar der Songs wurden auf der Straße aufgenommen, um den Songs einen organischen Klang zu verleihen - dabei schmiss ein Passant 50 Pence auf Dave, von denen er sich ein Croissant kaufte. Mit der Veröffentlichung dieses Fakts brach auf Facebook eine Diskussion aus, wo zur Hölle man in London ein Croissant für 50 Pence bekommt und wie das wohl geschmeckt haben dürfte.
#07 Zwei der Figuren des Albums haben ihre eigenen Webseiten: Raygun123 und Dizzy On Caffeine.
Hier müssen wir kurz einhaken: Ihr könnt irre viel Zeit mit Raygun123 verbringen. Dort ertönt nicht nur "Life Itself" in einer 8bit-Version, es gibt außerdem noch drei Minigames zu zocken: Tetris, Physics Invader und Jetpac. Bei Dizzy On Caffeine könnt ihr euch zu Tode scrollen und euch in einer gefühlt unendlichen Sammlung an allerlei Bildern und Grafiken verlieren - mit dabei unter anderem Fotografien und Malereien von Frida Kahlo und Collagen von Alana Questell, die auch schon Cover für Künstler wie SALES entworfen hat. Wir nehmen an, dass es sich hierbei um die Homepage vom Fotografen handelt, läge zumindest auf der Hand. Etwas gewagter ist die Vermutung, dass der Blog der Kellnerin gehört. Allerdings würden der Titel dazu passen, außerdem fällt Dizzy On Caffeine in "Youth", in dem es nunmal um sie und ihren Sohn geht.
#08 Dave sagt, dass er eher selten mit Samples arbeitet. Lediglich, wenn es den Song wirklich bereichert und zum Kontext passt. Auf How To Be A Human Being gibt es einen Track, auf dem es um psychische Probleme geht. Dave musste sich dann an "Mr. Guder" von den Carpenters erinnern.
"It fit the atmosphere musically while the song "Mr. Guder" itself was about a character of sorts, and then on top of that Karen Carpenter’s story added another dimension to the lyrics. If you don’t know her story you should look it up. It's very sad but very important and it started a general social dialogue about mental illness which is sadly still a subject matter that we avoid speaking about all too much."
In der ersten Singleauskopplung, "Life Itself", werden gleich mehrere Charaktere vorgestellt: die traurige Kellnerin, Chuck the Scientist, die schicke (böse) Frau, der kleine Junge und die korpulente Dame. Mit "Youth" - dem zweiten Song, der veröffentlicht wurde - wurde dann klar, warum die Kellnerin so traurig ist: Es scheint ihr Sohn zu sein, der in "Life Itself" von der schicken (bösen) Frau entführt wurde. "Youth" findet damit chronologisch früher statt als "Life Itself".
"Season 2 Episode 3" handelt von dem hippen Girl im türkisen Pullover und dem Game Boy in der Hand. Ihr Dasein verbringt sie auf der Couch, mit Serien schauen und zocken. Dementsprechend finden sich im Song auch Referenzen zu Adventure Time, klanglich wird die Verbindung mit den einleitenden 8bit-Klängen angedeutet.
Ansonsten kann man gerade nur raten, welcher Charakter zu welchem Song gehört - und dazu endlich mal wieder das gute alte, leider etwas vergessene Booklet zu Rate ziehen und auf Hinweise durchforsten. Wir haben uns da ein paar Gedanken gemacht...
Bei "Mama's Gun" könnte der Fokus auf der schicken (bösen) Frau liegen. Immerhin geht es darin um eine Witwe, die ihren Ehemann umgebracht hat. Wenn wir ein bisschen auf Berufsvorurteilen reiten, dann könnte es in "Cane Shuga" um den Fotografen oder das transvestitische Model gehen. Der Song ist aus der Perspektive einer Person, die gerne mal weißes Pulver nascht.
"The Other Side of Paradise" schreiben wir der korpulenten Dame zu, die darin ihre Geschichte erzählt.
When I was young and stupid, my love left to be a rock and roll star.
Allerdings lernte er kurz darauf ein anderes, sehr gut gekleidetes Mädchen kennen, in das er sich verliebte. Das muss die Dame in ziemliche Selbstzweifel getrieben haben, weswegen sie den Song mit den Worten "My body's looking wrong" beendet.
"Poplar St" könnte von dem fettigen Mann in Sonnenbrille und Speedos handeln. Darin geht es um einen Narzissten mit verdrehter Selbstwahrnehmung und dezenter Casanova-Attitüde. Dafür sprechen würde die Rückseite der CD, auf der der Speedo-Man seine Hand auf dem Hintern der Kellnerin hat.
"[Premade Sandwiches]" schreit fast danach, zur Kellnerin zu gehören, sie soll allerdings neben all den dort vorkommenden Charaktern die Protagonistin von "Life Itself" sein. Vielleicht gehört der abgefahrene Sandwich-Track auch zu Chuck the Scientist. Weniger wahrscheinlich, aber irre ironisch wäre es, wenn "Pork Soda" zu Chuck the Scientist gehört. Darin heißt es: "Pineapples are in my head. Got nobody cos I'm brain dead."
Man kann wirklich Stunden und Nerven damit verbringen, die Tracks den richtigen Charakteren zuzuorden.
Nach all den Infos dürfte es nicht mehr schwer sein zu begreifen, was für ein verdammtes Meisterwerk die Glass Animals mit How To Be A Human Being veröffentlicht haben. Es ist freilich auch nicht einfach, als Musiker das persönliche Leben mit all seinen Erlebnissen und Emotionen in Songs zu verpacken, doch ist es definitiv schwieriger, ganze Kosmen zu entwickeln, wie es Dave Bayley getan hat.
How To Be A Human Being ist demnach ein Album zum wiederholten Entdecken von Kleinigkeiten, zum Eintauchen, zum Abdriften. Kurz: Es ist eigentlich ein musikalisch anspruchsvoll konzipiertes Hörbuch. Wir verabschieden uns dann mal in unser Kopfkino.
Tracklist: Glass Animals - How To Be A Human Being
- Life Itself
- Youth
- Season 2 Episode 3
- Pork Soda
- Mama's Gun
- Cane Shuga
- [Premade Sandwiches]
- The Other Side of Paradise
- Take a Slice
- Poplar St.
- Agnes
How To Be A Human Being von den Glass Animals wurde am 26. August 2016 via Caroline (Universal Music) veröffentlicht.
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