Maribou State - Kingdoms in Colour

Maribou State - Kingdoms in Colour

Der Lieblingstonträger der Woche

Von  Anna Taylor
Einmal um die Welt reisen und dabei eine komplett neue generieren - mit nichts mehr als Klang. Kann man machen, Maribou State beweisen es mit ihrem neuen Album.

Es war wohl von Anfang an die Liebe zum Detail, die das gemeinsame Projekt der Londoner Chris Davids und Liam Ivory zum Selbstläufer gemacht hat - zwischen der Gründung 2011 und dem Zeitpunkt, an dem Maribou State als neuer krasser Scheiß gehypt wurden, sind gerade mal Monate vergangen.
Pompöse Live-Auftritte und ein Debütalbum, Portraits (2015) folgen, dass Maribou State fortan weltweit gefeiert werden und auch weltweit touren können. Mit der Rückkehr kommt allerdings die Ernüchterung: Irgendwie ist das DIY-Studio zuhause, im Garten von Liams Haus in Hertfordshire, nicht so ganz das richtige. Statt mit dem ganzen Zeug umzuziehen, packen Chris und Liam einfach alles ein - und gehen nochmal auf Reisen. Die letzten zwei Jahren haben die beiden damit so verbracht, von Stadt zu Stadt, von Land zu Land zu ziehen und an den verschiedensten Orten dieser Welt wöchentliche Studiocamps zu installieren.

"The first album felt quite insular for us. Not just in sound, but literally that it was all written in The Shack. We always had a bigger idea of what we wanted it to be, we wanted to create something that was palpable, that could in some way transport you to another country or another place entirely in your mind", sagt Chris, woraufhin Liam ergänzt:"The idea with Maribou State was always to draw on influences from different parts of the world by traveling, sampling, recording, we wanted to create this all encompassing thing. Which is what this second record has ended up being for us."

Das Ergebnis? Phänomenal.



Mit Kingdoms in Colour tauchst du in eine Welt hinter einem Ölfilm ein

Einem Ölfilm auf einem Schleier, der außerirdischen Ursprungs ist, um genau zu sein - hast du zufälligerweise Annihilation gesehen? Den neuen Film mit Natalie Portman? Solltest du definitiv, denn das komplette Album von Maribou State klingt tatsächlich ganz so, als ob sie sich den Film ein paar Hundertmal hintereinander reingezogen, quasi schon in ihm gelebt haben - noch bevor der überhaupt veröffentlicht war. Und das nicht vor dem Hintergrund, dass Annihilation ein gruseliger, zerstörerischer Horrorfilm ist und die Songs dementsprechend düster und unheilvoll klingen. Sondern in dem Zusammenhang, was das Extraterrestrische mit seiner Umgebung macht: Gegebenes brechen, verändern.
Das wirkt erstmal ziemlich bedrohlich: Gedärme fangen an, sich schlangenhaft im Körper zu drehen und zu wenden, Innereien brechen aus dem Körper aus, fangen an, schimmelartig an Wänden hochzuklettern, Genmaterial wird wie durch ein Prisma gebrochen und gespiegelt, beziehungsweise verdoppelt. Dabei entsteht nicht unbedingt was Besseres, immerhin sterben die Figuren an den Auswirkungen des Schimmers in den meisten Fällen. Doch rein ästhetisch betrachtet entsteht eine ganz wundervolle neue Welt dabei.

Auch Maribou State nehmen uns mit Kingdoms in Colour in eine andere Welt mit. Die Art und Weise ist dabei ähnlich, wie sie in Annihilation beschrieben wird: Maribou State nehmen Gewohntes, Alltägliches und verfremden es, kombinieren es mit sphärischen bis tranceartigen Klängen und bauschen das komplette Gerüst mit wummernden Synthesizern auf.



Das ganze Klangkonstrukt brechen wir mal ein bisschen auf...

Was Kingdoms in Colour so besonders macht

Field-Recordings

So werden zum Beispiel Stimmfetzen transformiert und gecuet oder Field-Recordings aus aller Welt aufgenommen, bearbeitet und verflochten. Den Stoff für die ganzen Field-Recordings haben Maribou State auf ihrer ausgedehnten Welttournee nach dem einschlagenden Debütalbum Portraits (2015) gesammelt. Das Rauschen des Tejo-Flusses in Lissabon zum Beispiel, Kirchenglocken in den Cotswolds, städtische Hektik in Neu-Dheli, Marktgetümmel im indischen Leh Ladakh oder Vogelgezwitscher in Tokyo und Sydney.


Dadurch entsteht ein akustisches Reisetagebuch, besonders die Einflüsse aus dem asiatischen Raum hört man Kingdoms in Colour an.

Samples

Neben Field-Recordings, also Tönen aus der Natur und dem menschlichen Alltag bedienen sich Maribou State auch an einigen Samples, also an Fetzen aus Songs anderer Künstler. Zum Beispiel in "Turnmills", das ganz am Rande erwähnt dezent aber wohlig an John Frusciantes "Murderers" erinnert, sampeln Maribou State die Kashmere Stage Band, einer Schulband der Kaschmere High School in Houston, die in den 70ern über die Schulmauern hinaus berühmt wurde und mittlerweile Kult ist. 
In "Vale" (einem fast schon unfassbar schönen Song) wiederum ist Melanie de Balisos runtergepitchter Gesang aus dem Song "I Feel You" zu hören.

Klangverfremdungen

Die ganzen Transformationen, die Maribou State an Stimmen sind nicht alle rein digitaler Natur. Holly Walker, mit der sie einige Songs auf Kingdoms in Colour aufgenommen haben, haben die beiden Klangfrickler hin und wieder in ein Treppenhaus gestellt und dort singen lassen, um die Akustik dieses ganz besonderen, mehrstöckigen und hallenden Raumes einfangen zu können.

Instrumentale Vielfalt und Hilfe von Freunden

Zu den vielen Add-On-Kunstelementen kommen viele, viele, viele Instrumente. Absurd viele verschiedene Percussions, Gitarren - sowohl Akustik- als auch E-Gitarre - diverse Vintage-Synthesizer, ein altes, leicht verstimmtes Klavier oder auch einer Guzheng - einer chinesischen, traditionellen Zither, die Maribou State in einem Instrumentladen in Peking eingespielt und auf "Nervous Ticks" wiederverwerten.
Oh, und Menschen - viele Menschen haben am Album mitgewirkt. Maribou State luden teilweise ganze Menschengruppen in ihr Studio ein, um Chöre aufzunehmen.
Besonders bemerkbar macht sich die Kollaboration mit dem ebenso detailverliebten Trio Khruangbin aus Houston. Der ausgeklügelte Stil von Maribou State passt wunderbar zum dream-poppigen, surf-riffigen von Khruangbin.

"Sometimes a chance meeting plants the seed for something bigger", sagen Khruangbin über die Kollaboration mit Maribou State.



Kingdoms in Colour ist ein unglaublich fein ausgearbeitetes, handwerkliches Kunstwerk.

Wenn man sich damit auseinandersetzt, wie dieses Album entstanden ist - mit all den kleinen Fragmenten, mit all den Menschen, die ihre Stimme geliehen haben - dann muss man schon sehr aufpassen, dass die Kinnlade nicht plötzlich durch den Fußboden bricht. Dabei macht es irre Spaß, das Album Stück für Stück zu erkunden. Jedesmal wenn man denkt: "DAS ist der Lieblingssong, DABEI geht mein Herz auf", folgt der nächste und den vorherigen Gedanken ab.

Auf Bandcamp kannst du dir übrigens das komplette Album am Stück anhören. Tu's!



Tracklist: Maribou State - Kingdoms in Colour

  1. Beginner's Luck
  2. Kingdom
  3. Turnmills
  4. Nervous Tics (feat. Holly Walker)
  5. Glasshouses
  6. Part Time Glory
  7. Feel Good (feat. Khruangbin)
  8. Slow Heat (feat. Holly Walker)
  9. Vale
  10. Kāma

Kingdoms in Colour von Maribou State wurde am 07. September 2018 via Rough Trade veröffentlicht.

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