Was für ein wundervoller Fiebertraum: Saya Gray nimmt uns mit auf einen Roadtrip und erzählt uns dabei ganz viel Gossip über ihre letzte Beziehung!
Ein monumentaler Neuanfang für Saya Gray
Das ist doch der absolute Traum: Man bekommt das Herz gebrochen, packt seine sieben Sachen - ganz wichtig natürlich: auch die Gitarre - kauft sich ein One Way-Ticket nach Japan, steigt in ein Auto, fährt munter drauf los, hört dabei Beatles, Led Zeppelin und Joni Mitchell nonstop, lässt sich inspirieren von Landschaft und allerlei Emotionen, schreibt ein unfassbar gutes Album und wird weltweit dafür gefeiert. Mehr oder weniger auf diese Weise ist Saya entstanden, das heiß ersehnte neue Werk der Multiinstrumentalistin Saya Gray.Ob es sich nun um ein Debüt handelt oder doch das zweite Album nach einer Reihe von experimentellen Releases namens QWERTY, QWERTY II und 19 Masters, die genauso roh und unverfälscht klingen wie ihre Namen, ist dabei erstmal Nebensache. Fakt ist: Saya ist ein Neuanfang. Ein Strich unter allem. Tabula Rasa. Daher macht es prinzipiell schon Sinn, dem Werk den eigenen Namen zu geben. So ein selftitled Werk ist ein gern angewandter Trick fürs erste Album von Musiker*innen, die damit ausdrücken wollen: "Hier, hör mal rein! Das bin ich!" Nur gibt es in Bezug auf Saya Gray ein kleines Problem, wenn man sich als Konsument nun wirklich auf dieses ungeschriebene Gesetz verlassen mag: Sie ist quasi personifizierte Veränderung und bezeichnet sich selbst als ein Chamäleon. Kann also gut sein, dass das folgende Album wiederum Gray heißt und komplett anders klingen wird, aber vielleicht ahnst du ja eh schon, worauf es hinausläuft: Auch das ist dann Saya Gray pur.
Die Kanadierin mit schottischen und japanischen Wurzeln hält schlichtweg gar nichts von üblichen Konventionen und will sich weder von Klischees, Genregrenzen, noch von der Musikindustrie vereinnahmen lassen. Und damit sind wir auch schon bei der Crux...
Was Saya so besonders macht
Ganz so simpel wie oben beschrieben war die Sache mit dem Roadtrip und dem Heartbreak-Album natürlich nicht. In Wahrheit verbirgt sich hinter der Reise etwas viel monumentaleres, als dass es im simplen Promotext zum Album dargestellt wird. Das erläutert Saya Gray im Interview mit NME: Sie fand sich an einem Punkt in ihrem Leben wieder, an dem nichts mehr Sinn gemacht hat. Chaos pur. Und alles irgendwie verseucht von negativen Gefühlen. Der dreimonatige Roadtrip war ein Versuch, sich dem Sturm an Emotionen zu stellen und aus dem Wust auszubrechen. Mithilfe von Reflexion. Und dann: Reset. Saya thematisiert so einen emotionalen Zyklus von Trauer, Wut, Angst und Akzeptanz."You know when you wake up and you're just like 'OK, enough'? I was like, 'I'm done with the chaos, done with the toxic and being in that nervous system frazzle state all the time'. [...] I was really in touch with the grief cycle with this album. I was very cognisant of when I was angry versus sad, missing, scared." - Saya Gray gegenüber NME
Ein klassisches Trennungswerk ist Saya nicht
Ja, das neue Album ist kohärenter als Saya Grays bisherige Veröffentlichungen. Ja, sie verarbeitet auf den zehn Songs eine Trennung. Aber nein, klassisch ist daran eigentlich nichts. Saya Grays Perspektiven und die Produktion des Albums bleiben stilsicher unkonventionell. Im Fokus der Texte steht eine Persönlichkeit, die sich verletzt, aber auch herausfordernd und eigenwillig zeigt. Diese darf dann auch darüber ernüchtert sein, dass jemand nicht mit der eigenen Komplexität umgehen kann oder sogar in eine Pfütze zerfließen und provokativ fragen:You know there's a puddle of me at your feet / Isn't that what you needed of me? - Saya Gray in "Puddle (Of Me)"
Überhaupt sticht Saya mit verspielten, tiefgründigen Lyrics hervor. Zum Beispiel das verschachtelte, fast Alice in Wunderland-artige Märchen in "10 Ways (To Lose a Crown)" oder der ironische, dezent Swift'sche Folk-Song "Shell (Of a Man)", der bittersüße Lyrics in einen harmlosen, fröhlichen Fingerpicking-Track verpackt:
Uninvite the guests, I wanna call it off
Call you out, call me rude, and I'll show you
And if you don't like me now, you're gonna hate me later
Speak now or forever hold your peace
"Line Back 22" ist ein bitterer Abgesang auf die vergangene Beziehung, bevor der Song in einen philosophischeren Ton umschlägt und "Cat's Cradle" beschäftigt sich mit den Worten "Since when has fame replaced great art?"
mit der Frage nach echtem künstlerischen Ausdruck vs. Kommerzialisierung. Ansonsten dreht sich natürlich viel um Kontrollverlust, Sehnsucht und die Frustration, nicht vollständig angenommen zu werden. Und zum Glück auch die Erleuchtung, dass das Arschlochverhalten der anderen oft nichts mit einem selbst zu tun hat. So singt Saya Gray in "How Long Can You Keep Up a Lie?":
I'm out of my mind for you, but I'm out of time
Minutes slip right through my fingers
You feel so lovely, you test my faith
You tap my temple, test my faith
No, I met an angel
She said, "I wish you forgiveness and your bitterness away
'Cause this shit has nothing to do with you"
Diese kreativen Songtexte kommen besonders gut zur Geltung in den kunstvollen Klangwelten, die Saya Gray drumherum aufbaut.
Das Chaos als Blaupause
Es ist nicht allzu schwer, einer Blaupause zu folgen, erst recht nicht, wenn man die Sache einigermaßen beherrscht. Und das tut Saya Gray, die in einem musikalischen Haushalt aufgewachsen ist mit einer Mutter als Pianistin und einem Vater als Trompeter, der unter anderem mit niemand Geringerem als Ella Fitzgerald oder Aretha Franklin zusammengearbeitet hat. Saya selbst beherrscht Klavier, Gitarre, Violine, Bass. Damit weiß sie auf jeden Fall, wie Musik nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch funktioniert. Wahres Talent jedoch erkennt man oft daran, ob Musiker*innen auch zwischen den Zeilen spielen können. Beziehungsweise: an den Regelbrüchen. Und das kann sie. Denn Saya Gray nimmt besagte Blaupausen, knüllt sie zusammen, zerreißt sie, sortiert die Fetzen um und setzt sie dann wieder neu zusammen. Nicht so, wie sie sich gehören, sondern so, wie sie zueinander passen. Und das ist verdammt beeindruckend.Auf Saya beweist die Multiinstrumentalistin ihre Fähigkeit, aus Fragmenten kunstvolle Klangwelten zu erschaffen, indem sie musikalische Bruchstücke zu einer raffinierten Gesamtästhetik zusammenfügt. Dabei ist es arg einfach, Saya Gray auf das Genre Alt-Pop zu reduzieren, während es vielmehr so ist, dass sie eine handvoll verschiedenster Sounds schlichtweg zu einem homogenen Klang kombiniert. So beginnt "Line Back 22" beispielsweise als eine Art Jazz-Pop-Walzer, bevor der Track in ein experimentelles Vocal- und Drumbreakdown ausbringt und schließlich wunderbar hinüber wabert in den nächsten Track - "Puddle (Of Me)" - der mit rückwärts gespielten Gitarren ein surreales Klangbild erzeugt. "H.B.W" (was übrigens für "Heartbreak Wake" steht) wiederum driftet in Trip-Hop-Gefilde - düster und pulsierend. Und "EXHAUST THE TOPIC" springt plötzlich in ein Shoegaze-Nu-Metal-Finale mit harten Gitarrenriffs.
Wenn man nun immer noch nicht ganz sicher ist, ob Saya den eigenen Geschmack trifft, hilft es vielleicht, mit ein paar vergleichbaren Namen um sich zu werfen. Also: Wer Bon Iver, Nilüfer Yanya oder Caroline Polachek liebt, ist hier bestens aufgehoben!
Die Botschaft
Der Mixtape-artigkeit des Albums wird dann noch die Kirsche aufgesetzt, indem der letzte Track "LIE DOWN.." nahtlos in den ersten übergeht. Ob das vielleicht symbolisch für den Trennungsschmerz steht, der zunächst so wirkt wie ein ewig währender Strudel der immer tiefer, tief hinab zieht? Dafür klingt Saya zu empowernd, auch wenn absurderweise viel gejammert wird. Aber manchmal liegt eben genau darin die Heilung: Saya dokumentiert den Versuch, sich aus toxischen Mustern zu befreien und bewusster zu leben.Auf die Künstlerin hinter dem Werk bezogen ist Saya ein musikalisches Selbstporträt, das Grays Einzigartigkeit in schärferen Farben zeichnet. Statt sich komplett neu zu erfinden, verfeinert sie ihr Handwerk - es ist detaillierter, schärfer, aber immer noch unberechenbar. Wer sich auf den emotionalen Trip einlässt, wird belohnt. Und wer ihre Entwicklung nicht versteht, "wird sie später erst recht hassen", sie Saya selbst singt.
Tracklist: Saya Gray - Saya
- ..THUS IS WHY ( I DON'T SPRING 4 LOVE )
- SHELL ( OF A MAN )
- LINE BACK 22
- PUDDLE ( OF ME )
- HOW LONG CAN YOU KEEP UP A LIE?
- CATS CRADLE!
- 10 WAYS ( TO LOSE A CROWN )
- H.B.W
- EXHAUST THE TOPIC
- LIE DOWN..
Saya von Saya Gray wurde am 21. Februar 2025 via Dirty Hits veröffentlicht.
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