Während aufgrund der Corona-Krise das öffentliche Leben auf der ganzen Welt bis aufs Nötigste heruntergefahren wird und entsprechend auch das kulturelle Leben zum Stillstand kommt, nutzen viele Musiker*innen die Chance, von daheim oder ihrem Studio aus zu streamen, um so mit ihren Fans in Kontakt zu bleiben.
Besonders fleißig ist Ben Gibbard, Sänger von Death Cab for Cutie und The Postal Service, der sich seit dem 17. März jeden Abend Zeit nimmt, um mit Livevideos die etwas trostloseren Stunden zu versüßen. Wie auch die von egoFM-Musikredakteur Fabian Broicher.
Am 16. März 2020 ruft die bayrische Landesregierung aufgrund der rasanten Ausbreitung des Corona-Virus den Katastrophenfall aus. Die Bürger*innen werden grundsätzlich dazu angehalten, daheim zu bleiben, übermäßige Käufe von Toilettenpapier zu unterlassen und sich sowie andere durch soziale Distanz sowie regelmäßiges Händewaschen zu schützen. Die Maßnahmen erscheinen zwar drastisch, aber sinnvoll und notwendig – trotzdem liegt das kulturelle Leben zu diesem Zeitpunkt bereits brach. Kinos müssen schließen und Livemusik findet weltweit praktisch nicht mehr statt.
Für jemanden wie mich, der oft und gerne Gigs besucht und Filme anschaut, ein herber Verlust an Lebensqualität. Doch als kleiner wundervoller Lichtblick erscheint auf meiner YouTube-Startseite am folgenden Abend eine Vorschau mit dem Titel "Ben Gibbard: Live from Home".
Eine Stunde Aufmunterung und Zusammenhalt
Das Konzept ist einfach. Der Sänger von Death Cab for Cutie sitzt mit Gitarre oder am Klavier vor der Webcam und spielt ein paar Songs. Allerdings merke ich schon von den ersten Momenten an, dass da etwas ganz besonderes passiert. Denn gleich zur Eröffnung wählt Ben Gibbard quasi meine ganz persönliche Corona-Hymne, "We Will Become Silhouettes". In dem Text des Postal Service-Songs geht es um eine postapokalyptische Welt, mit verseuchter Luft und der Angst vor angeblich tödlichen Gefahren. Da heißt es in der ersten Strophe:"I've got a cupboard with cans of food
Filtered water, and pictures of you
And I'm not coming out until this is all over"
So spielt sich Gibbard eine Stunde lang durch seine Songs, darunter Hits wie "Crooked Teeth", aber auch wundervolle Fernweh-Nummern wie "California Zephyr" vom unterschätzten, meist zu Unrecht übersehenen One Fast Move Or I'm Gone, einem Soundtrack zu einer Doku über Jack Kerouac, die er gemeinsam mit Jay Farrar von Son Volt einspielte. Gleichzeitig beantwortet er Fan-Fragen, die per Chat reinkommen, und irgendwie wägt man sich plötzlich unter Freunden in einer geselligen Runde – obwohl man doch eigentlich alleine zuhause sitzt.
Die längste Konzertreihe der Welt
Es bleibt allerdings nicht bei diesem einen Abend. Für die nächsten zwei Wochen geht Gibbard jeden Tag online, um Musik zu machen. Und jedes Mal gibt es neue Songs, neue Geschichten und andere Einblicke zu hören. Manchmal beschränkt er sich auf Coversongs, dann wieder beleuchtet er bestimmte Schaffensphasen von Death Cab for Cutie. Ein besonderes Highlight für mich als langjähriger Fan: Der Stream vom 23. März, in der Gibbard sich auf die frühen Sachen stürzt. Auf dem Programm stehen dabei unter anderem bereits jahrelang nicht mehr live gehörte Songs, wie etwa "Champagne from a Paper Cup" und eine fantastische Version vom "Title Track" des Emo-Meilensteins We Have The Facts And We're Voting Yes.Death Cab und Songs über Distanz
Abgesehen davon, dass Musik mir persönlich derzeit viel Aufmunterung verschafft, passen die Livestreams ziemlich gut zur aktuellen Lage. Schließlich handeln die meisten Texte, die Gibbard für Death Cab for Cutie schreibt, von Liebe, Kummer, Trost und räumlicher Distanz."I need you so much closer", heißt es im Über-Song "Transatlanticism" – das passt wie die Faust aufs Auge zu den notgedrungen getrennt bleibenden Familien, Freunden und Partnern. Dass Ben Gibbard allerdings trotzdem nicht den Blick fürs größere politische Bild verliert, zeigen seine Aufrufe während der Streams, in denen er die Aufmerksamkeit auf verschiedene gemeinnützige Organisationen lenkt, die jetzt alles geben, um in der Corona-Krise zu helfen. So gehen alle Einnahmen der neuen, während einer der Livestreams entstandenen Single "Life in Quarantine" an obdachlose Menschen, die es aufgrund der aktuellen Lage ganz besonders hart getroffen hat.
Lieber Ben Gibbard, mach bitte weiter!
Obwohl der Livestream vom 29. März, bei dem Gibbard unter anderem R.E.M., The Cure und Neil Young interpretierte, der vorerst letzte der täglichen Reihe ist, setzt er die Videos fort. Vorerst einmal die Woche, ab dem 2. April jeden Donnerstag. Mir wird die tägliche Aufmunterung, die innerhalb dieser kurzen Zeit bereits zu einer kleinen Tradition geworden ist, fehlen. Allerdings überwiegt die Dankbarkeit darüber, dass es weitergeht. Eigentlich mag ich mir gar nicht vorstellen, was nach Corona passiert. Wenn Gibbard irgendwann nach der Quarantäne mit der Streamerei aufhört, dann wird sich das bestimmt so anfühlen, als hätte man einen Freund verloren, der für jede Situation, bei jedem Skype-Gespräch die richtigen Worte gefunden hat.Also, lieber Ben Gibbard, falls du das hier liest – mach doch bitte weiter. Denn deine Heimkonzerte sind echt toll!
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