Katastrophenschutz: Wie gut sind wir vorbereitet?

Katastrophenschutz: Wie gut sind wir vorbereitet?

Dr. Cordula Dittmer im Interview

Von  Gloria Grünwald (Interview)
Wie zuverlässig funktionieren unsere Frühwarnsysteme im Katastrophenfall wirklich? Wie muss man sich eigentlich im Ernstfall verhalten? Und wer genau steckt eigentlich hinter dem Katastrophenschutz?

Vor zwei Jahren, innerhalb von 24 Stunden fielen in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli mehr als 100 Liter Regen pro Quadratmeter in Teilen der Bundesländer Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen – eine Jahrhundertflutkatastrophe, die ganze Orte zerstörte und Menschen ihre Existenz oder sogar ihr Leben kostete. Ein Untersuchungsausschuss wurde eingerichtet, um herauszufinden, wie es zu so einer verheerenden Katastrophe kommen konnte. Auch Dr. Cordula Dittmer forscht an der Krisen- und Katastrophenschutz Forschungsstelle der Freien Universität Berlin zur Flutkatastrophe 2021 und zu Katastrophenschutz. Warum ist es überhaupt wichtig, dass wir uns mit Katastrophenschutz beschäftigen? Haben wir ihn in Deutschland bisher vernachlässigt?

Vom Zivilschutz zum Katastrophenschutz

Um die Bedeutung des Katastrophenschutzes zu verstehen, ist es notwendig, ein wenig in die Vergangenheit zurückzugehen. Tatsächlich ist der Katastrophenschutz aus dem Zivilschutz heraus entstanden, denn im Grunde geht es im Katastrophenschutz genau darum – den Zivilschutz. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde damit begonnen, Strukturen und Ressourcen für den Zivilschutz wieder aufzubauen, Grund dafür war der sich zuspitzende Kalte Krieg. Damals gab es zwar eher wenige Naturkatastrophen, trotzdem merkte man zum Beispiel bei der Sturmflut in Hamburg 1962, dass die Ressourcen für den Zivilschutz natürlich auch etwa im Falle von Naturkatastrophen genutzt werden können.

"Und so hat man peu à peu dann angefangen, diese Strukturen auch in den Katastrophenschutz zu überführen. Irgendwann war das Zivilschutzthema nicht mehr so wichtig und man hat nur noch den Katastrophenschutz unterstützt." - Dr. Cordula Dittmer

Vernachlässigt wurde das Thema Katastrophenschutz in Deutschland also nicht, so Dr. Cordula Dittmer. An der FU Berlin wird seit fast 40 Jahren zum Thema geforscht und gerade durch die Jahrhundertflut 2002 oder dem Elbehochwasser 2013 war das Thema sehr stark in den Medien und es wurde sehr viel dazu geforscht. Allerdings liegt hier auch die Ursache, warum das Thema Katastrophenschutz auf einige manchmal etwas vernachlässigt wirkt - darüber gesprochen wird meist nur, wenn eine große Naturkatastrophe in den Medien Thema ist.

Eine kurze Bilanz zur Flutkatastrophe im Ahrtal kannst du dir hier auch noch einmal anhören:

  • Flut-Bilanz Ahrtal 2021
    egoFM Reflexikon
  • Dr. Cordula Dittmer über den Katastrophenschutz
    Das Interview zum Anhören
  • Niklas vom Roten Kreuz Freiburg
    Das komplette Gespräch zum Anhören


Lesson learned?

Vor zwei Jahren gab es nach der Flut schnell die Diskussion um bessere Frühwarnsysteme. Deutschland hatte anders als andere europäische Länder zum Beispiel kein Cell Broadcasting. Wir erinnern uns an den Warntag vor ein paar Monaten, da wurde das getestet. Cell Broadcasting und anderer Frühwarnsysteme wurden stark verbessert, genau wie Warnapps wie Katwarn oder NINA. Außerdem wurde das große Sirenenaufbauprogramm des Bundes von sehr vielen Kommunen genutzt, weil alle ihre stillgelegten Sirenen wieder aktivieren wollen. Grundsätzlich kann man also sagen, dass wir aus der letzten Katastrophe etwas gelernt haben - wie gut die neuen Maßnahmen im Ernstfall aber funktionieren, wissen wir noch nicht.

"Das Problem daran ist, so würden wir das immer aus unserer sozialwissenschaftlichen Perspektive sagen, man darf natürlich sich nicht ausruhen oder darauf blind verlassen. Nur weil wir eine Sirene haben oder nur, weil wir jetzt ein Cell Broadcast haben, wird uns so etwas nicht mehr passieren und wir müssen nur die Warnung richtig aussprechen, dann werden die Menschen schon ihre Häuser verlassen. Das wissen wir aus langjähriger Forschung, dass das nicht der Fall ist, weil Menschen eigene Entscheidungen treffen und nicht immer unbedingt Technik und Soziales gut zusammenpassen."- Dr. Cordula Dittmer

Menschliche Komponente bleibt entscheidend

Viele wissen nicht, wie sie sich im Ernstfall zu verhalten haben - selbst wenn Warnungen vorliegen, werden diese mitunter häufig unterschätzt. Die Krisen- und Katastrophenschutz Forschungsstelle setzt sich deshalb auch damit auseinander, wie sich hier etwas ändern kann und Menschen besser für mögliche Gefahren sensibilisiert und geschult werden können.

"Ich glaube, wir brauchen einen generellen Bewusstseinswandel in der Gesellschaft, dass die Zeit der Sicherheit, der absoluten Sicherheit und Gewissheit einfach vorbei ist. Wir hatten jetzt, muss man rückblickend sagen, goldene Jahre, in denen es uns in Deutschland sehr gut ging." - Dr. Cordula Dittmer

Expert*innen sprechen aktuell auch von einem Krisenmodus, in dem wir uns in den vergangenen acht Jahren befunden haben - angefangen mit der Flüchtlingslage 2016, über die Pandemie, den Angriffskrieg in Ukraine hin zu immer stärker werdenden Naturkatastrophen. Krisen sind real und gehören mittlerweile also zu unserem täglichen Leben - und darauf müssen wir uns vorbereiten.

"Das müssen wir, glaube ich, als Gesellschaft akzeptieren und auch als Individuen akzeptieren, dass es ein Weiter-so nicht geben kann. Und ich fürchte, wenn wir das nicht ändern, dann nützen uns auch Broschüren mit Tipps zu Vorratshaltung relativ wenig, weil das dann überhaupt nicht eingebettet wird darin, dass es wirklich notwendig ist, dass ja das Gesellschaftsmodell das wir bis jetzt hatten, einfach so nicht weiter funktionieren wird." - Dr. Cordula Dittmer

Die Frage der Verantwortung

Bis heute wird darüber diskutiert, wer alles Verantwortung an der Katastrophe im Ahrtal 2021 trägt. Diese Frage ist tatsächlich sehr komplex, wie uns auch Dr. Cordula Dittmer noch einmal verdeutlicht. Im Grunde kann der Bund nur im Fall des Zivilschutzes aktiv werden. Allerdings unterstützt der Bund die Ressourcen der Länder in Bezug auf den Katastrophenschutz. Das ist immer wieder umstritten und ein bedeutendes Thema, bei der Frage nach der Verantwortung: Wäre es etwa besser, wenn der Bund mehr Verantwortung hätte? 

"Ich glaube, das würde das Problem nicht lösen. Es gibt sicherlich einzelne Bereiche, wo es gut wäre, wenn es zum Beispiel einheitliche Standards in der Ausbildung gibt für den für Katastrophenschutzeinheiten und Katastrophenschutzkräfte [...]. Ich glaube es ist viel mehr in der Frage dessen, [...] der dann den Katastrophenfall ausruft." - Dr. Cordula Dittmer

Die politischen Akteur*innen, zum Beispiel die Landrät*innen, müssen wissen, was genau sie eigentlich im Katastrophenfall machen müssen, können und sollten. Außerdem ist es für sie auch wichtig zu wissen, wo die eigenen Möglichkeiten enden.

"Das haben wir gesehen in unserer Forschung. Da ist noch viel Luft nach oben bei den Kommunen, auch bei den politischen Akteuren, dass sie nicht genau wissen oder es zum Teil ein großes Unwissen darüber gibt, was der Katastrophenschutz eigentlich ist, wann man ihn einsetzen kann, wann man ihn nicht einsetzen kann und was es eigentlich braucht."  - Dr. Cordula Dittmer

Was jede*r einzelne tun kann

Dr. Cordula Dittmer sagt, dass es zunächst einmal wichtig sei, dass wir mit dem Thema Katastrophenschutz ganz rational umgehen, um nicht unnötig Ängste zu schüren. Wenn du dich selbst vorbereiten möchtest, könntest du dich zunächst informieren, was der Katastrophenschutz leisten kann und was nicht. Ansonsten hilft es auch schon sehr viel, einfach einmal über das Thema nachzudenken: Wo hätte man bei Freund*innen, Familie oder Nachbar*innen einen Übernachtungsplatz, wie erreiche ich Familienmitglieder, wenn es einen längeren Stromausfall gibt? Haben wir einen Notfalltreffpunkt?

"Also es sind glaube ich so Kleinigkeiten, die man sehr gut in seinen Alltag einbauen kann, die gar nicht groß sein müssen, aber die einfach so ein bisschen so eine Sensibilität dafür erzeugen können, dass wir nicht unter prozentig sicher sind und immer auch einen Plan B im Kopf haben sollten." - Dr. Cordula Dittmer

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