Zwischen Hype und Kiezromantik

Zwischen Hype und Kiezromantik

Ulli Hannemann über Berlin

Von  Max Frohberg
Ey, der*die wohnt jetzt in Berlin. Dieser, meist mit einem ehrfurchtsvollen Gesichtsausdruck vorgetragene Satz ist in den letzten Jahren gefühlt in den meisten Freundeskreisen mal gefallen.

Auf nach Berlin!

Doch was genau führt dazu, dass immer mehr Leute den Weg in die Hauptstadt suchen - und warum? Uli Hannemann ist Schriftsteller und wohnt seit über 30 Jahren in Berlin, nebenbei betreibt er die egoFM Kolumne "Die besten Texte der Welt", welche du hier findest. Im Interview mit egoFM Max hat er uns Antworten auf unsere Fragen gegeben und versucht zu erklären was Berlin nach wie vor so attraktiv macht.
  • Ulli Hannemann über Berlin
    Das Interview mit Max zum Anhören

Berlin

Also was genau macht den nun den Reiz der Stadt aus? Was sorgt dafür, dass über die letzten Jahrzehnte immer mehr Menschen den Weg in die Hauptstadt gewählt haben? Laut Uli verstehen das nicht einmal deren Anwohner*innen. Und genau da liegt eventuell schon die Antwort auf die Frage.
"Naja, vielleicht, dass es lässig ist und sich irgendwie selbst genügt." - Uli Hannemann

Dieses Selbstverständnis, selber nichts Besseres sein zu wollen und nicht um Bestätigung oder Anerkennung von außen zu buhlen gibt der Stadt dadurch seinen Charme.


"Die Stadt voller Affen ist voll und stinkt"


...ist eine Zeile des Berliner Künstlers Peter Fox, der es damit ganz gut auf den Punkt bringt. Denn Berlin ist nicht dafür bekannt sauber und aufgeräumt zu sein, sondern trägt ganz im Gegenteil eben diese Selbstverständlichkeit nicht schön und geleckt zu sein, offen vor.
"Man ist so richtig angekommen, wenn man anfängt seinen Müll auf die Straße oder ins Treppenhaus zu stellen weil, das ja eventuell noch jemand gebrauchen könnte." - Uli Hannemann

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Zu viel Großstadtrummel

Auch die Schnelllebigkeit der Stadt kann für viele Leute zu einem Problem werden. Die Geschwindigkeit in der sich die Leute im Alltag bewegen ist eine andere, Uli beschreibt dieses Mindset mit dem Ausdruck - "Hupen statt Bremsen". Die Größe der Stadt spielt dabei ebenfalls eine entscheidende Rolle, da es nun mal etwas andere Entfernungen zu überbrücken gilt. Auch in der Art fällt eine leichte freundliche Grobheit, auch "Berliner Schnauze" genannt, auf. Dabei ist diese in seinem Kern gar nicht negativ gemeint, sondern wird eher als Abtasten und Warmwerden verstanden. Denn Berlin steht schon seit jeher für Welt - und Lebensoffenheit, obwohl sich dies auch erst geschichtlich entwickeln musste.
"Das entscheidendste Ereignis war auf jeden Fall der Mauerfall. Was man gerne vergisst ist, dass Westberlin außerhalb der Besetzer - und Spontiszene das Grauen war. Es war ein piefiger, verschnarchter Ort mit den hysterischen antilinken Innensenatoren, den lächerlichen Prominenten die da in Charlottenburg im eigenen Saft geschmort haben und diesen grauen, korrupten CDU-Regierungen." - Uli Hannemann

Erst nach einiger Zeit entwickelte sich die Stadt zu dem, was sie heutzutage ist, was sich auch in der ausschweifenden und diversen Nachtlebensszene der Stadt ausdrückt.


Wem es dann doch manchmal zu groß und laut wird, findet Ruhe in seinem jeweiligen Kiez

Ein Kiez bildet mehr oder weniger ein kleines Dorf innerhalb der Stadt ab. Quasi ein kleines, geschlossenes Viertel bei dem man durchaus Parallelen zu einem gutbürgerlichen Vorstadtdörfchen beobachten kann. Es gibt eine Art Marktplatz, man geht jeden Tag zum selben Bäcker und trifft am Abend die immer selben Leute in der Stammkneipe. Vertraute Strukturen gegen das Großstadtfieber.
"Gerade den aus Kleinstädten zugezogenen ist der Kiez oft die letzte Rettung vor der Anonymität." - Uli Hannemann

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Die meisten Berliner*innen haben genau das gemein. Sie sind zugezogen und nicht in der Stadt geboren. Ob es Arbeitsimmigranten, Wehrdienstflüchtende oder Erlebnissuchende waren, Berlin war stets ein gefragter Anlaufpunkt. Dabei gibt es so etwas wie einen Urberliner heutzutage eher selten.
"Wenn man Bus oder Taxi fährt oder an einer Eckkneipe mit Hertha-Fahne im Schaufenster vorbeikommt, kann man noch eines dieser Urberliner-Tierchen in freier Wildbahn beobachten." - Uli Hannemann

Man kann also festhalten, dass das Stadtbild sich zwar verändert hat, ebenso hat sich die Stadt selbst jedoch ständig gewandelt und weiterentwickelt.


...leider nicht nur zum Positiven

Denn gerade was den Wohnungsmarkt angeht, hat Berlin mittlerweile ein massives Problem bezahlbaren Wohnraum für seine Anwohner*innen bereitzustellen. Die Gründe dafür sind, wie in vielen anderen Städten mit ähnlicher Problematik ebenfalls, eine Mischung aus politischer Inkompetenz und schlicht und einfach Geldgier. Oder wie es Uli Hannemann ausdrückt:
"Dummheit, Faulheit, Desinteresse oder böse Absicht." - Uli Hannemann

Dieser Vorgang trifft in Berlin jedoch auf einen eher finanziell schwachen Industriestandort, weswegen die Folgen der ständigen Mietpreiserhöhungen drohen das Stadtbild komplett zu verändern und Leuten mit geringeren Einkünften vom Leben in der Stadt auszuschließen.

Berlin ist definitiv mehr als Clubs und Hipster, eine Metropole, die sich genauso schnell verändert wie sie an manchen Punkten gleich bleibt und im ständigen Wandel ist. Hoffentlich zum Guten.





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