Mit 15 he­ro­in­ab­hän­gig

Mit 15 he­ro­in­ab­hän­gig

"Ab diesem Tag war ich süchtig - mit 15 Jahren"

Wie bekommt man seine Emotionen unter Kontrolle? YouTuber $ick spricht mit egoFM Max darüber, wie er als Teenager heroinabhängig wurde, mehrmals in Haft war, noch öfter einen Entzug anfing - und dann doch die Kurve kriegte.

$ick ist durch YouTube-Videos, in denen er von seiner jahrelangen Drogensucht erzählt, berühmt geworden. Wenn man ihm zuhört, kann man eigentlich gar nicht glauben, dass so viele Geschichten einem einzigen Menschen passiert sind und wie dieser eine Mensch das alles überhaupt überleben konnte.

Doch $ick hat es nach 30 Jahren Drogensucht geschafft, aus der Abwärtsspirale auszubrechen, sein Leben zu ändern und höchstwahrscheinlich auch zu retten. Heute ist $ick völlig clean, gerade auf Lesetour zu seinem Buch Shore, Stein Papier - Mein Leben zwischen Heroin und Haft und gibt Präventionsseminare an Schulen. Im Interview mit Moderator Max hat er uns die ganze Geschichte erzählt.



Vom Junkie zum YouTube-Held

Angefangen hat alles mit der Idee, die Geschichten seines Lebens auf YouTube zu teilen. Auf dem Kanal Shore, Stein, Papier erzählte $ick in insgesamt 380 höchst emotionalen Folgen über seine jahrelange Drogensucht ab dem Teenageralter, seiner Obdachlosigkeit und seiner Zeit im Gefängnis.

Mit seiner ehrlichen, direkten, unverblümten und sympathischen Art trifft $ick ab der ersten Folge ins Schwarze, gewinnt sogar den Grimme Online Award und ist durch die Biographie-Serie plötzlich berühmt.

Gäbe es einen Film über diese Lebensgeschichte, hätten wir sie wahrscheinlich für unrealistisch gehalten.




Ein neuer Vater, ein Umzug, neue Freunde und das Haschisch

Aufgewachsen ist $ick in einer kleinen Stadt in der Nähe von Stuttgart. Als sich seine Mutter von seinem Stiefvater, einem Alkoholiker, trennte, zog er mit ihr nach Hannover. Der neue Freund der Mutter macht dem 13-Jährigen schon im Auto nach Hannover klar, dass er unerwünscht sei:
"Nach dem 'Hallo' war das so ziemlich Erste, was er zu mir gesagt hat: 'Ich liebe deine Mutter, aber du bist ein ungewolltes Mitbringsel'" - $ick

Da er sich zu Hause nicht wirklich willkommen fühlte, orientierte $ick sich nach außen und fand schnell in Jugo, einem Jugoslawen, der schon davor negativ in Schulen aufgefallen war und bereits die Schule wechseln musste, einen besten Freund.

"Mit seiner Clique habe ich erstmal richtig hart angefangen zu kiffen und eigentlich zwei Jahre im totalen Delirium verbracht." - $ick
  • $ick von Shore, Stein, Papier zu Gast bei Max
    Das Interview zum Nachhören

Mit 15 Jahren Heroinabhängig

Als $ick anfing zu kiffen war er 13 Jahre alt. Gut zwei Jahre später trifft er sich am Abend mit seinen Jungs in einem Jugendhaus - seine Freunde hatten noch etwas anders dabei als Haschisch.

"Irgendwann waren alle verschwunden und ich habe sie auf der Toilette gefunden. Es war kalt draußen, aber sie hatten ihre Schuhe und Pullis ausgezogen, Hosen hochgekrempelt und hatten ein super zufriedenes Gesicht. Jeder Zweite von ihnen hatte ein Röhrchen aus Alufolie in der Hand. Ja die haben halt Blech geraucht." - $ick

Zum Verständnis: "Blech rauchen" ist eine Art Heroin zu konsumieren, ohne es direkt ins Blut zu spritzen. Diese Art gilt unter Drogenabhängigen als weniger riskant, weil eine Überdosierung weniger wahrscheinlich ist und das Risiko einer HIV- oder Hepatitisinfektion durch unsteriles Spritzbesteck ausgeschlossen wird. Um Heroin zu rauchen erhitzt man wird die Substanz mit einem unter die Folie gehaltenen Feuerzeug. Durch das Erhitzen verflüssigt sich das Heroin zu einem Öl, dessen Dämpfe man mit einem Röhrchen aus Alufolie inhalieren kann.

Zu diesem Zeitpunkt weiß $ick gar nicht, was er da konsumiert - aber er ist ab dem ersten Tag süchtig. Nach diesem Abend nimmt er täglich Heroin zu sich.

Die Droge ließ ihn die Probleme seines Alltags vergessen. Dass er sich danach wieder genauso scheiße fühlte, wie davor, habe ihn nur dazu getrieben, noch mehr zu konsumieren:

 "Ein Opiat hat die bitterböse Angewohnheit, dass es sich unglaublich gut anfühlt. Sobald das Opiat in deinen Kreislauf eintaucht, hast du das Gefühl, dass alles gut ist. Das ist der optimale emotionale Zustand, den man haben kann. In meinem desolaten emotionalen Zustand hab ich das probiert und diese mächtige gute Emotion hat mich sofort eingefangen." - $ick

Dosis erhöhen

Das Zeug hatten sie übrigens von einem einem zwölfjährigen Freund aus ihrer Clique. Dieser klaute regelmäßig von seinem Bruder, der im großen Stil mit Heroin handelte und es immer im Bettkasten der Mutter versteckte.

"Am Anfang hat das geklaute Zeug für eine Woche für den ganzen Freundeskreis gereicht, dann nur noch für die Hälfte der Jungs und irgendwann ist der Kleine gar nicht mehr gekommen, weil es gerade so nur noch für eine Tagesration für ihn selbst gereicht hat." - $ick

Heroinabhängige gewöhnen sich schnell an eine Dosis und erhöhen deswegen permanent die Menge.

Beispiel: Im Anfangsstadium konnte sich $ick mit 0,1 Gramm vollkommen wegschießen. Innerhalb von viereinhalb Jahren reichten ihm dann nicht einmal mehr fünf Gramm aus, um halbwegs high zu werden.

Mit der Sucht kommt die Kriminalität

Um sich seine Sucht zu finanzieren, gehörte für $ick mit seinen jungen 15 Jahren Ladendiebstahl zum Alltag.

"300 bis 400 Mark pro Tag für Stoff, Essen und Haschisch mussten drin sein." - $ick

Zu der Zeit traf er eine neue Clique, die professionell Einbrüche verübte. $ick schloss sich Ihnen an und wurde regelmäßig von der Polizei erwischt.

Seine Mutter hat $icks Problem übrigens erst sehr spät bemerkt.

Erst nach einem Drogenreport, den sie im Fernsehen gesehen hatte, konnte sie verschiedene Zeichen einordnen und war mit der Situation völlig überfordert und verzweifelt. $ick interessierte das wenig, auch als er an seinem 18. Geburtstag vor verschlossener Tür stand - seine Mutter hatte ihn rausgeworfen.

"Den Konsum hab ich allem anderen vorgezogen, weil ich mich in keiner anderen Situation wohler gefühlt habe, als wenn ich konsumier." - $ick

Ab diesem Zeitpunkt war $ick obdachlos, schlief in aufgebrochenen Behinderten-WCs in Krankenhäusern und hatte sein Hab und Gut in zwei Schließfächern verstaut.

Erste Haft

Am 7.1.1991 wurde $ick zum ersten Mal inhaftiert. Er bekam zwei Jahre und zehn Monate. Doch nach der Zeit wurde $ick keinesfalls drogenfrei. Im Gefängnis hatte er zum ersten Mal Kontakt mit Ecstasy. Nach dem Gefängnisaufenthalt war er 25 Kilo Muskelmasse schwerer und neben dem alten Freund Heroin zusätzlich davon abhängig.



"Resozialisierung gibt es nicht"

 Ein Grund des sofortigen Rückfalls war für ihn die herrschende Orientierungslosigkeit in seinem Leben. $ick bekam 800 Mark in die Hand gedrückt, die er am Abend fast schon ausgegeben hatte, hatte keinen festen Wohnsitz, keine Aussicht auf einen Job und auch keine Perspektive.

"Resozialisierung ist nur ein Wort. Wenn du Resozialisierung haben möchtest, bist du selbst für dich verantwortlich. Du kannst nicht erwarten, dass es da irgendwelche Projekte gibt, die dich in ein normales wirkliches Leben zurückholen." - $ick

Die Jahre der Entgiftung

Bis 2003 hatte $ick lediglich erzwungene Entzüge durch die Inhaftierungen gemacht. Insgesamt war $ick vier Mal - hochgerechnet ein ganzes Jahrzehnt - in Haft. Als seine Tochter zur Welt kam, die übrigens in einer JVA gezeugt wurde, wurde die Vorstellung eines freiwilligen Entzugs stärker. Deswegen startete $ick bis 2012 insgesamt zwölf Entgiftungen, bei denen er zwar auf die Ersatzmedikation der Ärzte verzichtete, doch heimlich Cannabis konsumierte.

Nach dem Entzug wurde $ick jedoch sofort wieder rückfällig. Er setzte sich von der Klinik in ein Taxi und fuhr sofort zu seinem Dealer.

"Mein ganzes Leben hab ich auf Opiaten verbracht, nüchtern bin ich einfach sehr unsicher und zu nichts in der Lage. Allein die Vorstellung, nüchtern und allein in meiner Wohnung zu sitzen, hat mir große Angst gemacht." - $ick



"Die Videos haben mich gerettet"

Als er 2012 seinen zwölften Entzug startete, rief seine Mutter in der Klinik an und war entsetzt von $icks Perspektivlosigkeit. Sie konnte nicht akzeptieren, dass er sich seiner Sucht gebeugt hatte und nach dem Entzug wahrscheinlich wieder anfangen würde.

Am Tag der Entlassung stand sie mit Tochter, Hund und Auto vor der Klinik und hatte für 14 Tage Bayernurlaub gepackt. Zu dieser Zeit meldete sich ein alter Freund bei $ick, dem er früher regelmäßig seine Geschichten und Erfahrungen als Drogensüchtiger erzählt hatte.

Genau dieser Freund hatte jetzt einen YouTube-Channel und bat $ick, seine Geschichte vor der Kamera zu erzählen und andere Menschen teilhaben zu lassen.

Entstanden ist die Biographie-Serie Shore, Stein, Papier, die in kürzester Zeit tausendfach geklickt wurde. Beim Grimme Online Award wurde sie sogar mit dem Publikumspreis ausgezeichnet.

 "Dass ich Leuten mein Leben erzählt habe, war drei Jahre eine laufende Therapie. Es war ein Punkt der Heilung, als ich Geschichten erzählt habe, die ich noch niemandem erzählt habe und das auch noch vor laufender Kamera." - $ick
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$ick und der Jugo wiedervereint in Bremen. Wer ihn nicht kennt, sollte sich die sechste Folge "Shore, Stein, Papier" angucken. #derjugo

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Mit seinem Wissen anderen helfen

"Wichtig ist, dass du dich selbst liebst. Ich hatte das in der Therapie zwar schon tausend Mal gehört, aber ich hatte keine Ahnung wie ich das machen soll. Jetzt weiß ich, dass es geht, wenn man die richtigen Voraussetzungen hat. Bei mir war's zum Beispiel, eine Aufgabe zu finden, die mich ausfüllt, in der ich mich ausleben darf." - $ick

Heute ist $ick vollkommen clean und gibt seine Erfahrungen als Ex-Drogensüchtiger an andere weiter. Mit dem Verein Lernen aus Lebenserfahrung ist $ick regelmäßig mit Präventionsseminaren an Schulen unterwegs und versucht durch seine eigenen Geschichten eine authentische Aufklärung gegenüber Drogen zu betreiben.

"Bei solchen Veranstaltungen geht es hauptsächlich um den gesunden Umgang mit Emotionen. Für mich war das der Schlüssel zum sauber bleiben." - $ick

Liebe, Verständnis und Kommunikation in der Erziehung

Seine eigene Tochter ist dieses Jahr 16 Jahre alt geworden. Diese kennt seine Geschichten und steht voll und ganz hinter ihrem Vater. Er ist froh, dass seine Tochter mit ihm über alles offen redet und mit ihren Emotionen zu $ick kommt. Mit Drogen hat sie nichts am Hut, doch auch wenn sie mal zur Zigarette oder zum Alkohol greifen sollte, weiß $ick, dass er sie mit Kommunikation und Verständnis an der richtigen Stelle abholen kann.

Anderen Eltern, die Bedenken oder Angst vor einem Suchtproblem bei ihren Kindern haben, rät er ebenfalls zur Kommunikation.

In der Probierphase, wenn also Jugendliche alles aufregend finden und ausprobieren wollen, sollte man ein Auge darauf haben, mit dem Kind darüber sprechen, sich selbst über die Droge informieren und es nicht zu einem Tabuthema machen.

Bei einem Verdacht auf einen dauerhaften Konsum solle man anstelle von Wutanfällen und Bestrafung sich selbst einige Fragen stellen, sagt $ick:

"Egal welcher Rausch, Konsum ist dazu da, um sich besser zu fühlen und wegen nichts anderem. Wir manipulieren unsere Gefühle. Also warum konsumiert mein Kind Drogen? Was läuft in der Familie oder im Alltag falsch?"



Shore Stein Papier
- Mein Leben zwischen Heroin und Haft

2016 erschien $icks Buch Shore Stein Papier - Mein Leben zwischen Heroin und Haft, in dem er seine Geschichten und Lebenserfahrungen verschriftlichte.


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Welche Frage hier gestellt wurde, bleibt unter uns. #shoresteinpapier #reutlingen

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Diesen Winter ist $ick ein letztes Mal auf Tour und erzählt mit seiner offenen Art live auf der Bühne von den vielen Tiefs und den Hochs in seinem Leben. Wenn du $ick auch mal live sehen möchtest - Tickets für seine Tour gibt es zum Beispiel hier.

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