Er geht für seine Reportagen dahin, wo es unbequem und auch schnell mal gefährlich wird. Journalist Thilo Mischke hat für sein Format 'Uncovered' schon aus Krisengebieten berichtet, war auf Flüchtlingsrouten unterwegs oder hat sich in der rechten Szene in Deutschland umgeschaut.
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19.03.2021
Thilo Mischke zu Gast bei Gloria
"Ich bin eigentlich bis heute ein Schisser"
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Thilo Mischke zu Gast bei GloriaDas Interview zum Nachhören
Das Spiel mit der Neugierde
"Damals in der sächsischen Schweiz auf einem Wanderausflug mit meinen Eltern bin ich dann einfach auf die Bergspitze geklettert, neben dem Wanderweg. Weil ich wissen wollte was neben dem Wanderweg ist." - Thilo MischkeSeine Neugierde treibt Thilo Mischke auch heute in seinem Job als Journalist an und lässt ihn und sein Team gefährliche Situationen auf sich nehmen, um die Dinge zu zeigen, wie sie in Wahrheit sind. Er wagt sich an Themen und in Länder, die die meisten - wenn überhaupt - nur von den Nachrichten kennen. Sein Selbstverständnis widerspricht dabei dem mutigen Draufgänger, tatsächlich sieht sich Thilo selber eher als Schisser:
"Ich bin jetzt niemand, mit dem man auf dem Rummel in die Achterbahn steigt. Ich verachte Achterbahnen. Ich würde auch niemals paragleiten oder bungeejumpen. All die Funsportarten, bei denen man draufgehen kann, möchte ich einfach nicht machen." - Thilo Mischke
Für Funsportarten ohne Sinn und Verstand ist Thilo also nicht zu haben. Dafür für die harte Realität in Afghanistan, dem Irak, der Ukraine oder in Südamerika im unberührten Urwald.
Klar bekäme er es manchmal schon bei der Recherche für ein Thema mit der Angst zu tun, aber das sei nie ein Grund, ein Thema nicht anzupacken - die Neugier überwiegt immer. Erst wenn sich Thilo wieder auf dem Heimweg befindet, kommt das mulmige Gefühl vom Anfang manchmal wieder zurück:
"Wenn man im Flugzeug sitzt auf dem Weg nach Hause und überlegt: 'Alter, was habe ich hier gerade schon wieder gemacht?'" - Thilo Mischke
Hinter mir verbrennen 350 kg Drogen. In meinem Haar, der feine Staub von Kokain und Ecstasy, in meiner Hand: Hefezopf und Käse. Ich hätte lieber eine Brezel. Und einen Kaffee. #uncovered4 #uc4 @prosieben https://t.co/4PKzbhcp6J pic.twitter.com/erjrWkrXJN
— Thilo Mischke (@mischke_thilo) April 11, 2019
Uncovered durch die ganze Welt
Für die Doku-Reihe Uncovered auf dem Privatsender ProSieben reist Thilo Mischke mit seinem Team für Reportagen in Länder auf der ganze Welt und in Gebiete, bei denen einem alleine schon die Bilder von der Situation dort Angst machen. Aber oft ist vor Ort alles anders, als man es sich vorstellt:"Du musst schon wirklich zum Krieg in einem Kriegsgebiet hinfahren, um die Kriegsgefahr erleben zu können. Du kannst also nach Afghanistan fahren mit der Vorstellung 'Da ist überall Krieg' und musst dann aber mit einem Auto zu einer ganz bestimmten Stelle fahren [...] Gefährlich wir es erst auf den letzten Metern in einem Kriegsgebiet, die kannst du entweder meiden oder dich ganz vorsichtig rantasten." - Thilo Mischke
Natürlich sind Thilo und sein Team vor Ort nicht komplett ohne Schutzausrüstung oder Ortskundige unterwegs. Trotzdem bleibt es sehr gefährlich und die Situationen oft unberechenbar.
Sein prägendstes Erlebnis: Die berüchtigste Schmugglerroute der Welt
Thilos mit Abstand beeindruckendstes und gefährlichstes Erlebnis war die Geflüchteten- und Schmugglerroute durch den Urwald von Panama: Darién Gap. Die verläuft entlang eines Grenzabschnitts zwischen Kolumbien und Panama - und jede Begegnung könnte die letzte sein:"Man muss sich das so vorstellen: Triffst du auf einen Transporteur von Kokain, zieht er die Waffe und schießt auf dich. Triffst du auf illegale Flüchtlings-Tracks, zieht der Guide seine Waffe und schießt auf dich. Wir waren also unter ständiger Gefahr, erschossen zu werden. Sechs Tage lang." - Thilo Mischke
Als wenn das schon alles wäre. Dazu kommt noch die Natur mit all ihren (giftigen) Pflanzen und Tieren. Für alle Spinnen- und Schlangen-Phobiker*innen empfehlen wir: Bloß nicht in den Urwald! Schlaf und Essen sind hier auch sehr rar. Wir tauschen lieber nicht mit Thilo Mischke und seinem Team und sehen uns das Ergebnis bequem von zuhause aus an:
Wie rechts ist Deutschland?
Aber nicht nur in fernen Ländern schaut Thilo genauer hin, sondern auch hier in Deutschland - vor der Haustüre. In "Rechts. Deutsch. Radikal" untersuchte er das neue Erstarken der rechten Szene in Deutschland. Dafür ist er dieses Jahr zusammen mit seinem Team in der Kategorie "Information und Kultur" für den Grimme-Preis nominiert:Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Für "Rechts. Deutsch. Radikal" war Thilo Mischke auf vielen rechten Demos, Rechtsrockfestivals und Wahlkampfveranstaltungen der AfD unterwegs und hat dabei Interviews mit Rechtsradikalen und Aussteiger*innen geführt.
Dabei hat er festgestellt, wie wichtig es ist, trotz Vorurteilen und unterschiedlichen Weltsichten auch mit diesen Menschen in den Dialog zu kommen. Thilos journalistischer Ansatz ist es, nicht nur den Neo-Nazi zu sehen, der vor einem steht, sondern auch den Menschen mit seiner Lebensgeschichte:
"So wie wir beide miteinander reden, so rede ich auch mit Faschos, Corona-Leugner, Massenmödern, Scharfschützen und kurdischen Kämpferinnen. Also es gibt da keinen Unterschied. Ich bin da überhaupt nicht voreingenommen." - Thilo Mischke
Corona-Demos und das Aggressionspotential in Deutschland
Nicht erst, aber besonders seit der Corona-Pandemie scheinen der Frust über die Maßnahmen und die Angst der Menschen Verschwörungstheorien einen Aufwind zu geben und für eine gewisse Aggressivität unter Corona-Leugnern - vor allem gegenüber der Presse, der Polizei aber auch einfachen Mitbürger*innen zu sorgen. Diese Entwicklung macht Thilo Sorge:"Ich bin ein Freund des Konflikts und freue mich über konstruktive Streitgespräche, die auch lauter werden können. Aber bitte, liebe Menschen, versetzt euch einmal auch in euer Gegenüber hinein, warum er*sie so argumentiert, wie er*sie argumentiert. Wenn man nur von der Richtigkeit seiner eigenen Argumentation ausgeht, kommt man nicht weiter. [...] Dieses aggressive Beharren auf Standpunkten erzeugt eine Art Anhängerschaft. Wir brauchen keine Anhänger sondern, Freunde der Demokratie." - Thilo Mischke
Für Thilo ist es wichtig, dass wir in diesen Zeiten Mut zum Dialog beweisen und versuchen, emphatisch zu sein. Demokratie sei immer Konsens, nicht ein bloßes "Ich habe Recht".
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