Wann braucht es einen finanziellen Neustart?

Wann braucht es einen finanziellen Neustart?

Wie du Schulden vorbeugst - und beseitigst

Wer zur Schuldnerberatung geht, steht vor dem finanziellen Ruin und muss geldtechnisch noch einmal von vorne beginnen. Oder? Lena Steindl ist Schuldnerberaterin und empfiehlt, schon vorher mal vorbeizukommen. Selbst wenn du deine Finanzen im Griff hast.

Schulden in den Griff bekommen

Lena Steindl ist Schuldnerberaterin bei der Caritas und hilft Menschen beim finanziellen Neustart. Den Überblick über die Schulden verlieren und immer weiter shoppen - da ist man doch selbst verantwortlich, wenn man dann zur Schuldnerberatung muss, oder? Tatsächlich ist das ganze nicht immer nur Schwarz und Weiß. Manchmal kommen die Schulden ganz überraschend als herber Schicksalsschlag. Und selbst wenn dass nicht der Fall ist, du einen Job hast, sparst und nicht über deine Verhältnisse lebst - ein Besuch bei der Schuldnerberatung ist schon jetzt sinnvoll. Im Interview erzählt dir Lena, warum:
  • Schuldnerberaterin Lena Steindl
    Das Interview zum Nachhören

Was passiert bei der Schuldnerberatung?


Die Schuldnerberatung ist in erster Linie genau das, was der Name sagt - eine Beratung. Weder wird dir hier die Arbeit abgenommen, noch musst du dich allein durch deine Zettelwirtschaft und Rechnungen wühlen, sondern wirst dabei von deinem*r Berater*in unterstützt. Lena verschafft sich als Allererstes immer einen Überblick über die Situation der Betroffenen.
"Die Leute kommen oft – so, wie man das klassische Bild kennt – mit einer Tüte voll ungeöffneter Briefe und haben eigentlich keine Ahnung, wo sind meine Schulden, wie steh ich überhaupt finanziell da. Und da gucken wir ein bisschen drauf. Die Leute kriegen von uns einen Haushaltsplan zugeschickt, den sie auch schon einmal ausfüllen sollen. Und dann gibt es im ersten Schritt oftmals erst mal ein, zwei, drei Termine, wo einfach nur Unterlagen sortiert werden, um zu gucken, wo sind die Schulden, haben wir auch zu allen Schulden Unterlagen. Weil oft ist so das Motto – ah ja, hab ich nicht gesehen, gibt’s nicht. Also so landet es einfach direkt im Müll der Brief. " - Lena Steindl

Weil vieles im Müll landet, vergisst man über die Zeit auch, wo das Geld hinfließt beziehungsweise wo es liegt. Lena erinnert sich zum Beispiel an Klienten, die vergessen hatten, dass sie noch ein Auto haben, dass auf ihren Namen läuft oder ein altes Sparbuch von den Eltern. All das muss zusammengesucht werden, damit man sich am Ende ein Bild von der Situation machen kann - und das braucht etwas Zeit. 

Der Monat zu lang, das Geld zu knapp


Gerade zum Ende des Monats sieht es meist leerer auf dem Konto aus - in einigen Fällen zu leer. Warum haben viele Menschen besonders am Ende des Monats eigentlich finanzielle Schwierigkeiten oder sind knapp bei Kasse?
"Das liegt meistens an der falschen Budgetplanung, wo wir dann auch wieder ins Spiel kommen, um einfach mal zu gucken – wo geht mein Geld hin? Was gebe ich aus? Wo kann man die Einnahmen erhöhen? Wo kann man die Ausgaben verringern? Meistens tuts da weh, die Ausgaben zu verringern, wos natürlich oft Spaß macht oder was natürlich auch ein kleines Laster ist. Sei es das Rauchen, wo wir gerne drauf hinweisen. Das sind halt einfach Stellschrauben, an den man ein bisschen schrauben kann." - Lena Steindl

Auch kostenpflichtige Streamingdienst-Abos nennt Lena als Beispiel, die viele vergessen, die sich aber am Ende das Monats doch merklich abzeichnen. Die Klient*innen entscheiden dann selbst, an welcher dieser finanziellen Schrauben sie sozusagen schrauben möchten, um ihre Ausgaben zu verringern.

Was ist, wenn es aber doch schon zu spät ist?


Wenn mit der Schuldnerberatung alles sortiert wurde und man feststellt, dass man seine Rechnungen tatsächlich nicht mehr zahlen kann - wenn das Worst-Case-Szenario eintritt, du kein Geld mehr hast?
"Ich sag immer in der Beratung zu Anfang, wir haben drei Möglichkeiten, mit Schulden umzugehen. Erstens - wir zahlen Raten, zweitens - wir gehen in die Insolvenz. Oder man hat natürlich einfach die Möglichkeit, mit den Schulden zu leben. Das ist auch eine Möglichkeit, die ich den Menschen aufzeige und sage okay - es gibt ja eine Pfändungsgrenze, wo dann keiner mir mehr Geld wegnehmen kann." - Lena Steindl

Bis Lena mit ihren Klient*innen an diesem Punkt ankommt, dauert es mitunter bis zu einem Jahr - je nachdem wie gut organisiert die Unterlagen des*der Betroffenen sind. Erst dann kann der finanzielle Neustart beginnen.

Plötzlich verschuldet - warum passiert das so vielen?


Tatsächlich nutzen verschiedenste Menschen die Schuldnerberatung. Das geht vom Teenager, der ein paarmal schwarz gefahren ist und seine Strafen nie bezahlt hat oder jungen Leuten, die sich beim Online-Shopping verkalkuliert haben, erzählt Lena.
"Ich hab aber auch eine 83-jährige Oma da sitzen, die teilweise Schulden hat, die sind älter als ich. Oder auch die Briefe sind von vor 1990 und da hat man sich halt nie drum gekümmert, weil es halt irgendwie ging. Und jetzt, mit 83 möchte man halt, dass es aufhört, diese Flut an Briefen." - Lena Steindl
Laut Lena sind es tatsächlich nicht die Schulden, die den Menschen sorgen machen - sondern die Briefe, die sie ständig dazu bekommen. In den meisten Fällen suchen Menschen zwischen 20 und 35 Jahren die Schuldnerberatung auf. Viele haben den Umgang mit Geld nicht gelernt oder auf die leichte Schulter genommen. Lena und ihre Kolleg*innen warnen immer wieder davor - insbesondere junge Menschen - leichtfertig beispielsweise Verträge (Handy, Fitnessstudio) zu unterschreiben. So bald man 18 Jahre alt, haftet man selbst dafür sollte man die Rechnungen nicht bezahlen können. 

Auch gescheiterte Selbstständigkeiten - insbesondere bei jungen Menschen - nennt sie als einen der häufigsten Gründe, warum Leute zur Schuldnerberatung kommen. Viele sind unerfahren und haben beispielsweise Steuern und Finanzamt nicht mit auf dem Radar. 

Schulden im Lockdown


Neben Job-Verlust durch pandemiebedingten Stillstand verkalkulieren sich viele Menschen im Lockdown beim Online-Shopping, meint Lena. Zu Hause langweilt man sich, entdeckt im Internet etwas und bestellt es sich fix nach Hause. Häufen sich solche Impulskäufe, kann das mit der Zeit natürlich teuer werden. 

Wann solltest du zur Schuldnerberatung?


Nach Lenas Erfahrung kommen die meisten erst dann zur Schuldnerberatung, wenn es eigentlich schon viel zu spät ist. Wann ist denn der Moment gekommen, an dem man die Beratung aufsuchen sollte?
"Eigentlich kann man grundsätzlich schon kommen, wenn man noch gar keine Probleme hat, um zu sagen - ich möchte einfach mal so eine Budgetplanung machen. [...] Das ist wirklich nie verkehrt. Einfach mal zu kommen [...] Wir sagen immer zu den Leuten - schaut euch ein Jahr eure Kontoauszüge an und schreibt auf, was sind da für Ausgaben. Weil Versicherungen kommen halt nur einmal im Jahr. Oder die ARD/ZDF-Beitragsgebühren kommen ja auch nur alle drei Monate. Deswegen - wenn man sich nur einen Monat anguckt, hat man einfach nicht den Überblick."- Lena Steindl
Außerdem kann die Schuldnerberatung natürlich Tipps geben, finanzielle Engpässe zu vermeiden:

Tipps, um Schulden zu vermeiden


  • Für die Raucher*innen: Versucht mit dem Rauchen aufzuhören. Hier kann man enorm viel Geld sparen (und es ist gesünder).
  • Online-Shopping: Schränke das Online-Shopping ein, überleg dir, was du wirklich brauchst und versuche (wenn möglich) in richtigen Geschäften einzukaufen.
  • Barzahlung: Statt mit Girokarte zu zahlen - zahl wenn möglich (nicht unbedingt in der Pandemie) mit Bargeld. Laut Lena tut es den meisten beispielsweise viel mehr weh, 50 Euro bar zu zahlen als schnell von der Karte abziehen zu lassen.
  • Verträge: Achte darauf, unter welche Verträge du deine Unterschrift setzt.
  • Planen: Wenn du dir etwas leisten möchtest (zum Beispiel einen neuen Fernseher) empfiehlt sicher eher darauf zu sparen anstatt auf raten zu zahlen. 

Wenn es wieder aufwärtsgeht


Das klingt alles sehr niederschmetternd. Kommt man aus den Schulden eigentlich irgendwie raus? Lena erzählt von einem Fall, der ihr wohl immer in Erinnerung bleiben wird. Ihre Klientin war obdachlos, drogenabhängig und hatte das Sorgerecht für ihr Kind verloren. Nach der Teilnahme an einem Substitutionsprogramm hat sie eine Ausbildung gemacht, eine Wohnung bekommen und hat nun auch ihr Kind wieder. Lena hat sie auf diesem Weg begleitet und hilft ihr nun, ihre Schulden zu strukturieren und sich für eine der drei Lösungen zu entscheiden, wie sie in Zukunft mit ihren Schulden umgeht. 



Da das Angebot von der Caritas und damit auch die Beratung von Lena kostenlos ist und wird Landkreis beziehungsweise von der Stadt finanziert. Mehr Infos zur Schuldnerberatung der Caritas findest du hier.

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