Das französische Elektro-Duo liefert uns mit ihrem erwartungsvoll herbeigesehnten neuen Album ein Drama in mehreren Akten.
Discopunks in polierter Lederjacke
Als die beiden Franzosen Gaspard Augé und Xavier de Rosnay 2011 ihr Debütalbum Cross (†) veröffentlichen, überspringt das Duo die manchmal ermüdend lange Zeit des Newcomer-Daseins und erlangt prompt Legendstatus in der französischen Elektroszene. Knarzende Synthesizer, sich windende Bässe, kombiniert mit verspielten Elementen, alles unter einem sehr stilsicheren Gewand. Musik, Mode und Lebensgefühl – alles ist bestens ausgewählt und abgestimmt, dass Justice nicht nur die neue Lieblingsband ist, sondern auch Basis einer ganzen Identität.Doch ähnlich wie eine Discokugel schimmert auch der Klang von Justice in unterschiedlichen Facetten.
Erst vier Jahre später folgt das dezent gitarrenlastigere, schrammigere Audio, Video, Disco und wieder vier Jahre später mit Woman die Huldigung an 80s-Pop. Damit war dann auch ganz klar: Justice wiederholen sich nicht. Was einmal funktioniert, wird nicht bis zum Erbrechen den Fans in den Rachen geschoben. Als Anfang des Jahres also Hyperdrama angekündigt wird, das vierte Werk von Justice, ist die Neugierde groß, wohin denn die Reise nun gehen soll. Wir nehmen dich mit.So glänzt Hyperdrama
Kennst du das vielleicht: Du hältst ein neues technisches Gerät in den Händen, es ist glatt, glänzend, leicht, smart und dann kommt dir vielleicht auch ein bestimmtes Attribut in den Sinn, das all jene Eigenschaften beinhaltet: slick! Genau dieses Wörtchen lässt sich prima zur groben Beschreibung von Hyperdrama verwenden. Den Eindruck liefert bereits der Einstiegssong "Neverender" feat. Tame Impala aka Kevin Parker. Glatt produziert, keine großen Überraschungen und Parkers Falsett verpasst dem Ganzen dann noch den übrigen Schliff.Wo ist das Drama, mag man sich fragen?
Das folgt zugleich. Mit "Generator", einer der ersten beiden Single-Auskopplungen des Albums. Die hart knarzenden Synthesizer treffen ohne Vorwarnung auf den geradezu sanften Sounds des Vorgängers, dass man aufpassen sollte, nicht auf einem allzu wackeligen Stuhl zu sitzen. Eine Ode an Audio, Video, Disco möglicherweise und Erinnerung daran, dass man mal wieder überlegen könnte, was eigentlich aus der französischen Düstergestalt Gesaffelstein geworden ist... "Generator" ist auf jeden Fall der Beweis dafür, dass der Discopunk Justice nicht verlassen hat, wenn es sich dabei auch nur um einen Ausreißer handelt.Denn "Afterimage" featuring RIMON wiederum folgt der Blaupause des Einsteigers, genauso wie "One Night / All Night", was erneut von Kevin Parker stimmlich begleitet wird. Mit drei von vier Tracks wirkt gerade der Anfang von Hyperdrama dezent überladen mit Fistelstimme. Doch bevor sich große Enttäuschung breitmachen kann, nimmt das Werk ab dem fünften Track, "Dear Alan", eine spannende Wendung...
Die Entfaltung von Hyperdrama
Es könnte daran liegen, dass wir bei egoFM diese Woche thematisch sowieso mit dem Kopf bei den Sternen sind, doch "Dear Alan" führt uns klanglich in ganz andere Gefilde: Ein Crescendo bereitet uns zum Abflug in die tiefen Weiten des Universums vor – ganz nach Manier des Godfathers des französischen Elektros, Jean-Michel Jarre. Ausgeschmückt mit Disco-Streichern und Arpeggien ist der Track eine musikwissenschaftliche Meisterleistung. Es geht weiter mit dem ebenso instrumentalen, wummernden "Incognito". Anders als die vorherigen Songs mit Gastsängern wirkt das darauffolgende "Mannequin of Love" feat. The Flints nicht ganz so glatt und ist anders, als man es vielleicht in dem Kontext des vorherigen und kommenden Songs vermuten mag, absolut nicht fehl am Platz in der Trackliste. Immerhin folgt mit "Moonlight Rendez.vous" ein kurzes, mit Saxophon-Sound erzähltes Space-Techtelmechtel-Drama.Das Highlight des Albums ist definitiv "Explorer". Ein Theremin-artiges Gesumme, langsamer Rhythmus und tief wummernde Synthesizer verpassen dem Track ein düsteres Gewand. Das wird ausnahmsweise mal nicht mit einem Falsett-singenden Feature begleite, sondern vom neuseeländischen Connan Mockasin, der – eben ganz im Gegenteil – mit tiefem Spoken Word dem Track eine unglaubliche Tiefe verleiht.
"Muscle Memory" wiederum ist ein ehrwürdiger Kopfnicker gen Techno der 90er-Jahre, kurz bevor uns der 28 Sekunden lange "Harpy Dream" zurück aus den Weiten des Weltraums auf den Pop-Tanzboden der Tatsachen namens "Saturnine" holt, nur damit in "The End" das ganze Album Revue passiert wird, indem aalglatte Produktion mit Störgeräuschen kombiniert werden und ein überraschend harmonischer Track bei rumkommt.
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