Zum Glück lassen sich isländische Bands nicht so lange Zeit, Neues von sich hören zu lassen, wie isländische Vulkane. Fünf Jahre hin oder her: alles relativ.
Island
Was für ein Zusammenspiel - malerische Landschaften, fabelhafte Wesen wie Elfen, Trolle und Björk auf der einen Seite. Die blanke Kraft von Naturgewalten durch Lava spuckende Vulkane auf der anderen. Einerseits: sphärische Klänge von Musiker*innen wie Ólafur Arnalds. Andererseits: grober Rock und kraftvoller Soul von KALEO. Um letztere soll es hier gehen, denn die haben jetzt ihr neues Album Surface Sounds veröffentlicht.Doch zuerst: Ein bisschen Bandgeschichte
Inspiriert vom Rock und Blues der 50er und 60er Jahre fangen die Schulfreunde Jökull Júlíusson (Gesang, Gitarre), Davíð Antonsson (Schlagzeug, Gesang) und Daníel Ægir Kristjánsson (Bass) mit circa 14 an, ein bisschen rumzujammen. Hauptsächlich Coversongs stehen damals auf dem Plan, einerseits von Weltklassikern wie Nancy Sinatras "Bang Bang", andererseits auch isländische Volkslieder wie "Vor í Vaglaskógi" - ein sehr lyrischer Song, in dem das Treffen eines Pärchens im Wald beschrieben wird. Letzterer bringt der jungen Band den ersten Hype, woraufhin sie für einen Gig beim Iceland Airwaves, dem größten und wichtigsten Musikfestival Islands, gebucht werden.Damit wird das Ganze ein bisschen ernster. KALEO holen sich zur weiteren Unterstützung den Gitarristen Ruben Pollock in die Band und arbeiten an den ersten eigenen Songs. Ihre selbstbetiteltes Debütalbum veröffentlichten sie 2013 in Island. Leider dauert es dann doch noch mal zwei Jahre, bis das erste große Label, Atlantic Records, auf die Band aufmerksam wird. Wenigstens geht es dann relativ schnell: KALEO stellen sich und ihre Musik auf dem sagenumwobenen SXSW in Austin, Texas, vor und - natürlich - die Leute lieben es. Alle Weichen für ein erfolgreiches internationales Debütalbum sind gelegt - A / B erscheint Mitte 2016 und löst mit großen Songs wie "Way Down We Go" den vorherbestimmten weltweiten Hype aus.
Nun: Das neue Album Surface Sounds
Fast fünf Jahre nach A / B und dem internationalen Durchbruch erscheint also das zweite / dritte Album Surface Sounds . Sänger und Songwriter Jökull Júlíusson lässt sein ganzes Herzblut in das neue Werk fließen - angereichert mit all den Erfahrungen und Eindrücken, die der große Erfolg und das viele Touren mit sich gebracht haben. Das Resultat: Grenzen des bisherigen Klanges werden ausgelotet und expandiert. Doch das Gerüst bleibt: eine Mischung aus Soul, Folk, Rock.Einmal quergehört
Sphärisch starten wir in das Album mit dem Opener "Brother Run Fast". Gefühlvoller Gesang vermischt sich mit einer blechern klingenden Gitarre und wir denken: Mensch, der Lagerfeuersound ist ja perfekt. Eine Finte, denn dann setzt Sänger Jökull Júlíusson zum Refrain an und plötzlich wird der Klang mit harten Gitarrenriffs aufgebrochen und alles wird ein bisschen gewohnter. Die erste Hälfte von Surface Sounds gestaltet sich generell eher hart, es wird laut, es wird schrammelig - es wird halt eben gepflegt gerockt (warum klingt dieses Wort eigentlich so wahnsinnig nach seinem eigenen Gegenteil?)."Skinny" sticht dann nochmal heraus, nicht wegen absurder Sounds, sondern wegen des Textes. Es geht um Essstörung, selbstverletzendes Verhalten, Suizid und damit auch irgendwie um die Unmöglichkeit von Liebe. Raue Kritik, die vielleicht nicht ganz den richtigen Ton trifft, eben weil sie Personen enorm triggern kann und die Botschaft damit nicht ganz eingängig ist. Musikalisch wiederum schön umgesetzt sind die begleitenden schrill schreienden Gitarren. Achso, und visuell natürlich imposant dargestellt mit dem Cameo keines Geringeren als: Fagradalsfjall, einem isländischen Vulkan. Klar kann man sich beim Anblick dieses Naturspektakels auch überlegen, das Weite zu suchen, doch als Ende März der Vulkan Fagradalsfjall nach 800 Jahren (!) zum ersten Mal wieder Feuer spuckte, dachten sich KALEO wohl sowas wie: Geil. Nehmen wir! Und zogen prompt vor den Fagradalsfjall um eine kleine, andächtige Live-Session zu spielen.
Womit wir wieder beim Stichwort Lagerfeuer-Sound wären. Nur eben eine Nummer größer.
Mal wieder etwas anderes ist dann wieder "Hey Gringo". Catchy, sogar mit Mundharmonika, Bläsern, Backgroundgesang und dezenten US-kritischen Botschaften. Zur Mitte des Songs eine prima gesetzte Auflockerung der Stimme. Mit "My Fair Lady" wird es dann nämlich wieder schön soulig, wenn nicht sogar ein bisschen schnulzig, was sich direkt auch über den nächsten Songs zieht, zumindest zunächst. Erst gegen Ende gewinnt "I Want More" an Fahrt und ein paar Geigen obendrauf, das gleiche gilt für "Backbone" und eigentlich auch für "I Walk on Water" - obwohl das Schema von KALEO recht schnell zu durchschauen ist, überraschen diese hybriden Songs doch immer wieder. Immerhin unterscheidet sich der oft sehr gleiche Aufbau der Songs mit stets anderen Elementen. Wo hier mal lediglich der Gesang anschwillt, schreit da gleich wieder eine Gitarre auf, während dort auf Chöre im Hintergrund gesetzt wird. "Into My Mother's Arms" wiederum hätte kein besserer Schluss sein können. Hier versöhnen sich die gewohnten KALEO Klänge mit der Zartheit der zweiten Albumhälfte. Wenn Geborgenheit einen bestimmten Sound hätte - er würde diesem hier bestimmt ähneln.
KALEO zeigen mit dem neuen Album also nicht nur, dass sie immer noch auf Vulkane stehen, sondern erweitern ihren Signature-Klang um einige einfühlsame Elemente.
Wenn wir schon dabei sind, gerade bei nichts Wirklichem dabei zu sein und nur so nach neuen Hobbys lechzen, dann kann man an dieser Stelle einfach mal wieder empfehlen, Alben zu hören. Also so richtig von vorne bis hinten. Surface Sounds eignet sich dafür prima, der Aufbau ist wirklich sehr gut durchdacht.Tracklist: KALEO - Surface Sounds
1. Brother Run Fast2. Break My Baby
3. Alter Ego
4. Free the Slave
5. Skinny
6. Hey Gringo
7. My Fair Lady
8. I Want More
9. Backbone
10. I Walk on Water
11. Into My Mother’s Arms
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