Irgendwie alles anders machen, ohne dabei die persönliche Quintessenz zu verlieren - der Londoner hatte es nicht leicht mit seiner zweiten Platte. Hat aber dennoch alles richtig gemacht.
Die Sache mit dem zweiten Album ist schwierig, gerade, wenn das Debüt derart erfolgreich war wie Michael Kiwanukas Home Again aus 2012. Einerseits gilt es dabei, nicht wieder den gleichen, erfolgreichen Strickmustern zu verfallen, andererseits sollen die Fans von damals auch nicht vergrault werden. Das Hirn abschalten, das Herz singen und die Seele quatschen lassen, quasi. Kein Wunder also, dass sich der Londoner mit ugandischen Wurzeln gut Zeit gelassen hat - vier Jahre, um genau zu sein, die jedoch nicht rein dem Love & Hate gezollt wurden, wie wir es seit Freitag kennen. Nach zweijähriger Tour schrieb Kiwanuka nämlich 16 Songs, produzierte sie, war unzufrieden damit, warf alles über den Haufen. Auch die Produzenten. Stattdessen meldete man sich bei Danger Mouse, der nicht nur Mitglied von Gnarls Barkley und Broken Bells ist, sondern auch so eine Art Starproduzent. Gorillaz, The Black Keys, sogar Adele holten sich schon Hilfe vom Amerikaner. Da musste sich Kiwanuka des Weiteren Gedanken machen, was er mit dem zweiten Album erreichen will - wenn er sich jemanden wie Danger Mouse ins Boot holt, kann es schon mal ziemlich fett werden, durch die Decke gehen, schlimmstenfalls sogar in den Mainstream geraten.
Wobei sich das für Kiwanuka auch nicht ausschließt, diese Fusion aus echter Kunst und Masseneuphorie. Und Recht hat er ja, zumal Love & Hate auch kein bisschen überladen und -produziert wirkt. Obwohl es doch ziemlich vollgepackt ist, nicht nur mit allerlei Klang (Chor, Orchester, Pink Floyd'scher Atmosphäre und nicht zuletzt Kiwanukas rauchiger Soulstimme), sondern auch mit Botschaften. Manche sind eher subtil, andere werden klar rausgebrüllt. "Black Man in a White World", zum Beispiel, spricht nicht nur deutlich, gar provokant die Problematik an, als Jugendlicher mit ugandischen Wurzeln im von Weißen dominierten London aufzuwachsen, sondern auch das Ding mit der eigenen Zugehörigkeit und Identität. Er selbst fühlte sich lange Zeit weder als Brite, noch als Ugander - damit trifft er den Nerv vieler, die während der großen Zeit der Globalisierung geboren wurden, deren Elternteile beispielsweise unterschiedlicher Nationalitäten sind, während man selbst in einem ganz anderen Land geboren und groß geworden ist. Wenn man weder dies, noch das und schon gar nicht jenes so richtig ist, muss man den Heimatbegriff und somit seine Zugehörigkeit ganz anders definieren, beziehungsweise setzen. Und das ist gar nicht mal so einfach, wenn dann auch noch veraltete Ansichten und Rassismus ins Spiel kommen.
Eine weitere Lanze bricht Kiwanuka auf Love & Hate für die Entschleunigung. Sein Album ist mit zehn Titeln knapp eine Stunde lang, von denen zwei Songs über sieben Minuten, einer sogar an die zehn Minuten lang ist. Übersetzt heißt das so viel wie: "Leute, nehmt euch eine Flasche Wein, hockt euch hin und nehmt euch für die Platte Zeit." Und es ist wahr: Heutzutage macht man das doch wirklich noch viel zu selten. Neue Alben werden meist hektisch runtergeladen, um auf dem Weg in Arbeit/Uni/Sonstwohin gehört zu werden. Dabei ist man dann geplagt von den alltäglichen Gedanken und hat kaum Kopf, sich der Musik richtig hinzugeben. Ruhe, Kinder. Musikhören sollte nicht zur Banalität verkommen, sondern wieder zu einem richtigen Hobby werden!
Soulmusik der 60er Jahre ist seit Teenagerjahren die Inspirationsquelle des noch nicht mal 30-Jährigen. Während man dennoch auf dem Debüt Home Again verstärkt seine Ausbildung als Jazzmusiker raushören kann, dringt er auf Love & Hate noch viel tiefer in die Substanz von Soul und Blues ein. Hilfreich ist dabei gerade der Filter über der Stimme, der das Vintage-Gefühl beim Hören anregt und tatsächlich die klangliche Brücke zu Ikonen wie Marvin Gaye bildet.
Love & Hate ist somit für jeden die richtige Platte, der sich gerne mal beklagt, es gäbe keine Ikonen mehr. Die sollten Kiwanukas Rat folgen, sich einfach mal zurücklehnen und dem Werk ganz genau lauschen. Und damit dann auch aufhören, den alten Zeiten hinterher zu trauern und lieber anfangen, endlich mal den Fokus auf die aktuellen, lebenden Größen zu richten.
Artikel teilen: