The Cure: Songs of a Lost World

The Cure: Songs of a Lost World

Das Album der Woche

Von  Vitus Aumann
Eyeliner, Haarspray und Lippenstift parat machen – The Cure sind wieder da!

16 Jahre sind eine verdammt lange Zeit.

Das reicht, um aufzuwachsen und komplett seine Naivität zu verlieren. In dieser Zeit kann man ganze vier Weltmeisterschaften begutachten. Oder man kann seine Band auflösen, sich anderthalb Jahrzehnte gegenseitig ans Bein pinkeln und dann doch plötzlich wieder zusammenfinden – nicht war Noel und Liam?

Und na ja der Musikgeschmack kann sich auch gerne mal komplett auf Links drehen. Man muss als Band also schon ziemlich großes Selbstbewusstsein haben, um die Fans wirklich so lange auf neue Musik warten zu lassen.

Es sei denn, man ist halt The Cure. Songs of a Lost World zeigt nämlich, dass für Robert Smiths Band ganz andere Regeln gelten.

Die Kraft im Warten

The Cure waren ja eigentlich nie weg: Wirklich unverhältnismäßig lange Pausen zwischen ihren Alben gab es eigentlich nie und auch in den letzten Jahren gab es immer Mal wieder Touren oder Festivalauftritte. Warum das neue Album jetzt aber trotzdem so eine riesige Sache ist? Na ja, es sind The Cure!

Eben eine dieser verdammt seltenen Bands, die Musikgeschichte schreiben durften, aber sich nie anpassen mussten. Eine Band, die nicht nur den Sound einer ganzen Dekade, sondern auch den Look einer ganzen Subkultur geprägt hat. Und auch wenn man vielleicht nicht unbedingt ein Cure Fan ist – die Chancen stehen ziemlich hoch, dass sich trotzdem irgendeine Lieblingsband ziemlich stark von Smith und seinen Imaginary Boys Inspiration geholt hat. Da wartet man dann eben doch, wenn’s sein muss, eben ein bisschen länger.   

Muss man aber sogar auch jetzt noch: Robert Smith hat scheinbar Gefallen dran gefunden, Leute warten zu lassen. Opener und Lead Single "Alone" wabert erstmal stolze dreieinhalb Minuten im Sweetspot zwischen Weltschmerz und geisterhafter Schönheit hin und her, bevor der Sänger überhaupt mal den Mund aufmacht. Anpassen an die schnelllebige Gegenwart mit viel zu kurzer Aufmerksamkeitsspanne? Ganz bestimmt nicht mit The Cure. Aber wenn der Mann dann ans Mikrofon tritt, fragt man sich langsam schon mit welchem Dämon hier ein Packt abgeschlossen wurde:

Robert Smiths Stimme altert einfach nicht

...und sie haut immer noch genauso unbarmherzig in die emotionale Magengrube. Dieses Geheimrezept vom lang aufgebauten Intro, damit Robert Smith den Gänsehautauftritt hinlegen kann, ist jetzt nicht neu: "Pictures of You" und "Lullaby" lassen grüßen. Aber Songs of a Lost World kriegt das Kunststück fast genauso gut hin wie damals Disintegration – und ja, das ist ein verflucht großes Kompliment. Vor allem das Finale "Endsong" baut eine fast schon absurd dramatische Kulisse aus Streichern und geisterhaftem Gitarrenriff auf, in die man regelrecht hineinfallen möchte. Songs wie das fast schon funkige "Drone:Nodrone" und das klaviergroovende "A Fragile Thing" lockern den Sound zwar angenehm auf, aber sonst wird die verlorene Welt eindeutig von dramatisch großen Klangflächen definiert. Man könnte fast sagen, The Cure haben hier ihre eigene Version einer Shoegaze Platte abgeliefert, oder darüber nachdenken, wie sehr sich Shoegaze Bands bei The Cure bedient haben.

Aber so kriegt Songs of a Lost World dann irgendwie das Kunststück hin, komplett eindeutig ein The Cure Album zu sein – aber es klingt doch eben anders genug, um seinen ganz eigenen Platz in der Diskografie zu bekommen.

Roberts Mondfahrt

Den "Endsong" hat Robert Smith übrigens beim Sterne schauen geschrieben, weil ihn der Himmel an die Nacht der Mondlandung erinnert hatte und ihm auffiel, wie wenig von der damaligen Euphorie und Hoffnung 55 Jahre später noch übrig ist. Jetzt kann man natürlich diskutieren, ob die Welt damals wirklich so viel besser war oder sich das Grauen einfach noch ein bisschen besser versteckt hat, oder man lässt sich dann einfach doch komplett ins Melancholiezentrum treffen.

Robert Smith hat wahrscheinlich eh schon mit die ikonischsten Texte über Trauer, soziale Phobien, Verlust und Weltschmerz geschrieben. Und jetzt, mit deutlich mehr Lebenserfahrung klingen sie weniger wie morbide Fantasien, sondern nach schmerzhaften Beobachtungen. Der Tod hängt wie ein Gitarrenecho über Songs of a Lost World, ob im vom Tod seines Bruders geprägten "I Can Never Say Goodbye", in "And Nothing Is Forever" und natürlich auch im Opener "Alone". Und wenn Robert Smith ganz zum Ende einfach nur noch "Nothing" ins Mikrofon klagt und die Gitarrenwand in sich zusammenbricht, braucht man wirklich ein paar Momente, um wieder klarzukommen.

Robert Smith hat nicht nur nichts verlernt, Songs of a Lost World zeigt, dass er immer noch jede Menge zu sagen hat.



Tracklist: The Cure - Songs of a Lost World

  1. Alone
  2. And Nothing Is Forever
  3. A Fragile Thing
  4. Warsong
  5. Drone:Nodrone
  6. I Can Never Say Goodbye
  7. All I Ever Am
  8. Endsong
Songs of a Lost World wurde am 01. November 2024 via Polydor veröffentlicht.



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