Christoph Biermann von 11Freunde

Christoph Biermann von 11Freunde

Warum man Fußball kritisch sehen muss und ihn trotzdem lieben kann

Christoph Biermann ist Chefreporter beim Fußballmagazin 11Freunde, Mitglied der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur, hat bereits viele Bücher geschrieben und ist quasi seit seiner Kindheit Fußballfan.


Mit egoFM Gloria hat über den schlechten Ruf des Fußballsports gesprochen, was Fans und Vereine gegen Rassismus tun und ob es beim Fußball nur noch um Geld geht:

  • Christoph Biermann über Kritik und Liebe im Fußball
    Das Interview mit Gloria


Fußballliebe...

Wichtigste Frage zuerst - wenn man sich schon sein Leben lang und dann noch durch den Job 24/7 mit Fußball beschäftigt - kann man da noch Fan sein?
"Ja! Also ich bin in unterschiedlicher Weise Fan. Einerseits so wie du es beschrieben hast, dass ich einfach gerne Fußballspiele angucke. Und das muss auch jetzt dann nicht gleich immer alles professionell verwertet werden, sondern kann auch einfach ein schönes Fußballspiel sein. Und auf der anderen Seite bin ich mein Leben lang schon Anhänger des lange gebeutelten VFL Bochum. Und da klopft mein Herz dann doch oft genug." - Christoph Biermann

...und Fußballkritik

So wie Christoph geht es sicherlich vielen Fans. Trotzdem - der Sport steht schon seit einiger Zeit in der Kritik, aktuelle Vorfälle steigern das nur noch. Der DFB-Chef ist wegen eines Nazi-Vergleichs zurückgetreten und auch Jens Lehmann hat mit einem rassistischen Kommentar die Debatte um Rassismus im Fußball neu angestoßen. Wie geht es da eingefleischten Fußball-Fans und Kenner*innen wie Christoph?
"Die [diese Meldungen] zeigen natürlich, dass im Fußball einiges nicht in Ordnung ist. Also speziell jetzt beim deutschen Fußballbund, der - jetzt nicht nur in den letzten Wochen, sondern man muss eigentlich schon sagen in den letzten Jahren ein absolut katastrophales Bild abgegeben hat. Da werden inzwischen die Verbandspräsidenten schneller gewechselt als manchmal die Trainer bei Bundesliga-Vereinen. Es ist [ein] fürchterlich unübersichtliches Gezerre und Gehacke hinter den Kulissen. Was eben jetzt auch zur Demission von Fitz Keller geführt hat und - nein - das ist sicherlich kein gutes Bild. Und so Statements wie das von Jens Lehman zeigen natürlich auch das da nicht jeder, der im Fußball - wie Jens Lehmann als ehemaliger National-Torwart und zuletzt dann als entlassener Berater des Investors bei Hertha BSC - nicht ganz auf der Höhe der Dinge sind." - Christoph Biermann

Trotzdem - als sogenannter Volkssport versucht der Fußball sich nach Außen hin natürlich immer wieder gegen Rassismus einzusetzen. Das klappt mal mehr, mal weniger gut. Spiegelt der Sport denn vielleicht ein bisschen unsere Gesellschaft wider? Oder hängt der Fußballsport mit seinen Ansichten und Werten dem heutigen Zeitgeist eher hinterher?
"Also ich würde nicht sagen, dass er hinterherhinkt. [...] Und wenn ich mich daran erinnere, wie die Situation etwa in den Kurven in den 80er und 90er-Jahren gewesen ist - wenn wir über Rassismus reden - dann war der Rassismus offen, brutal, in Sprechchören und so weiter. Und dass sich das geändert hat, das muss man zum Beispiel auch sagen, hat ganz viel mit engagierten Fans zu tun. Mit antirassistischen Fan-Initiativen, die da wahnsinnig viel getan haben. Und da kann man schon sagen, dass da teilweise Fußballfans weiter waren als die berühmte Mitte der Gesellschaft oder der Mainstream. Aber es ist natürlich auch jetzt nicht gleich dann eine heile Welt, in der man dann sagt: 'Naja, Fußball, das kann man nur zusammen spielen und deshalb halten alle wunderbar zusammen, unterstützen Minoritäten und achten auf Diversität' und so weiter. Das ist etwas, das auch im Fußball im Grunde genommen ständig neu und weiter erkämpft werden muss." - Christoph Biermann

Die meisten Vereine - und vor allem die Fans selbst - setzen sich aktiv dafür ein, dass Rassismus nicht mehr so offen ausgelebt wird, wie das vielleicht noch vor ein paar Jahren war. Beispielsweise dass ein Fan einen anderen darauf aufmerksam macht, dass irgendwelche Sprüche gar nicht gehen. Ein anderes Beispiel sind die Ultras des FC Bayern, die sich dafür einsetzten, die eigene Vereinsgeschichte langsam aufzuarbeiten. In den 30er Jahren hatte der Verein einen jüdischen Vereinspräsidenten, Kurt Landauer, der erstmals dafür sorgte, dass der FC Bayern überhaupt Erfolge verzeichnete. Allerdings ist Kurt Landauer und seine Bedeutung für den Verein jahrzehntelang in Vergessenheit geraten. Mittlerweile wird er als ein wichtiger und entscheidender Teil der Geschichte des Klubs angesehen - und das nur dank Initiativen von Fans, so Christoph.
"Da ist sehr viel und - finde ich - sehr gutes passiert im Laufe der letzten Jahre. Was aber nicht heißt, dass man sich hinlegen und die Beine hochlegen kann." - Christoph Biermann




Wettbewerb der Finanzen

Die Super League - ein wunder Punkt bei Fußballfans. Fast wäre sie beschlossen worden, aber dann ist die Fußballwelt doch noch einmal knapp dran vorbei geschrammt. Warum waren Fans überall eigentlich überhaupt so aufgebracht, als die Idee einer Super League erstmals öffentlich zur Debatte stand?
"Daran wäre falsch gewesen, dass es eine Art von geschlossenem Wettbewerb ist, für den man sich nicht mehr sportlich qualifiziert. Also die Mannschaften, die daran teilnehmen wollten, wollten eigentlich das Risiko, dass man sich über die nationale Meisterschaft dafür qualifizieren muss, wie das jetzt bei der Champions League der Fall ist - dieses Risiko wollten sie ausschalten. Also sie wollten im Grunde genommen den sportlichen Wettbewerb lahmlegen, um sichere Einnahmen zu haben." - Christoph Biermann

Gerade in England war der Protest enorm - Fans gingen auf die Straße, sorgten sogar dafür, dass ein Spiel abgesagt wurde. Und auch in Deutschland wurde die Idee mit gemischten Gefühlen aufgenommen und sowohl der FC Bayern als auch Borussia Dortmund beteiligten sich nicht an der Aktion. Das sorgte dann letztlich alles dafür, dass die Idee der Super League quasi innerhalb von 48 Stunden wieder zusammengebrochen ist.


Aber selbst abgesehen von der Super League hat man - insbesondere auch als Außenstehende*r das Gefühl, dass es sich beim Fußballsport schon lange nicht mehr um den Wettbewerb, sondern nur noch ums Geld dreht. Das fängt bei reichen Investor*innen an und geht bis zu Diskussionen über Gehaltsobergrenzen für Fußballspieler*innen...
"Ich hab gar nicht so viel Angst vor dem vielen Geld, sondern das Problem ist eigentlich vor allen Dingen, dass das Geld so ungleich verteilt ist. Und das führt dann dazu, dass der sportliche Wettbewerb zum Teil ausgehebelt ist." - Christoph Biermann

Christoph vergleicht das Ganze ganz passend mit einem Autorennen - stell dir vor, ein*e Fahrer*in ist im Maserati unterwegs, der*die andere im Fiat 500. Ähnlich ist es im Prinzip bei der Champions League. Klubs, die über viele Jahre hinweg regelmäßig in der Champions League sind, nehmen dementsprechend viel Geld ein - und das ist natürlich ein gigantischer Vorteil. 
"Wenn solche Gehaltsobergrenzen zum Beispiel dazu beitragen würden, den Wettbewerb wieder etwas ausgeglichener zu machen. Wenn wir andere Mechanismen finden würden, um den Wettbewerb wieder etwas mehr in Bewegung zu setzen... Das würde dem Fußball unheimlich guttun, weil es droht ihm nämlich auch ein bisschen Langeweile und Absehbarkeit." - Christoph Biermann


Was ist deine Meinung zum Thema? Siehst du den professionellen Fußballsport kritisch? Ändert das etwas daran, die du Fußball als Fan wahrnimmst? Verrat es uns gerne via WhatsApp an die 089 360 550 460!

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